464 Hessen. Verhandlungen der zweiten Kammer.
altes Wort — mit einem Tropfen demokratischen Oels gesalbt sein, sonst
wird der Kaiser kein lebendiger werden, er wird sein, was er ist: Cuesar
et Imperator! Wenn ich hiernach das Verfassungswerk im Allgemeinen
wie in der Sonderstellung, welche es einzeluen Staaten einräumt, richtig
beurtheilt habe, so werfe auch ich einen Blick in die Zukunft und frage
mich, wie kann, wie wird sich das Einigungswerk des großen Vaterlandes
entwickeln? Ich hochachte die wahrhaft erhebenden und patriotischen Worte,
welche uns der ehrwürdige Herr von Gagern gleich Herru von Biegeleben
geäußert haben. Sie rufen uns zu: verzweifeln wir nicht an der Zukunft
des Vaterlandes, selbst auf Grundlage dieses mangelhaften Verfassungs-
werkes muß das Bessere erkämpft werden; es ist die Grundlage der Eini-
gung gelegt, wir haben jetzt schon zum großen Theil errungen, was die
Edelsten des Volkes seit Jahrzehnten erstrebten, der deutsche Geist wird
den Bau auf freiheitlicher Grundlage vollenden. — Ich, meine Herren,
kann leider nicht mit derselben Zuversicht auf die Tage blicken, die da
kommen werden. Wenn auch ich nicht an der Zukunft unseres Vaterlandes
verzweifle, so sehe ich doch die nächste Zeit als eine recht trübe au. Ich
sehe vor mir für die Rechte des Volkes nur fruchtlose parlamentarische
Verhandlungen. Verzeihen Sie mir, ich kann von dem Reichstage, auch
wenn er aus 380 Mitgliedern bestehen wird, nach den Verhältnissen der
Verfassung, nach den Rechten, welche ihm solche einräumt, nach der durch
die Diätenlosigkeit beschränkten Wahl, keine durchgreifende Wirksamkeit ge-
wärtigen. Thatsache ist, daß die Verfassung nach wie vor der wahren
bundesstaatlichen Grundlagen entbehrt, dem Einheitsstaate die
Bahn eröffnet, daß keine verantwortliche Executive besteht, daß ohne
Einwilligung des Bundespräsidiums eine Aenderung der Militäror=
ganisation nicht möglich, daß kein Steuerbewilligungsrecht in
wirksamer, die ganze Staatsverwaltung umfassender Weise besteht; daß wir
dem eisernen Militär-Etat nicht nur bis zum Jahre 1871 sondern,
wenn bis dahin kein Bundesgesetz zu Stande kommt, welches eine Erleich-
terung bestimmt, bis zu dem Zustandekommen eines solchen unterworfen
sind; bei Gesetzesvorschlägen über Militärwesen und Kriegsmarine giebt
aber — bei Meinungsverschiedeuheit im Bundesrath — das Präsidium
den Ausschlag, wenn es sich für die Aufrechterhaltung des Bestehenden
ausspricht (Art. 5). — Welche Handhabe verbleibt gegenüber diesen That-
sachen für die Fortentwicklung eines wahrhaft bundesstaatlich geregelten
Reiches auf freiheitlicher Grundlage? Ich sehe nur trübe in die Zukunft.
Dem durch glänzende Erfolge gefesteten Militarismus gegenüber wird
ein nutzloser Parlamentarismus verhallen; das Volk wird dumpf hinnehmen,
was es nicht ändern kaun, bis das Uebermaß jene gewaltsamen Erschütte-
rungen zur Reife bringt, welche das Unhaltbare im Staate darniederwerfen.
Meine Herren, ich würdige es, wenn Sie die Gegeuwart von dem Ge-
danken beherrschen lassen, daß wir immerhin die Einigung errungen,