Mittnacht. 505
zweiter Redner das bestritten und hat die Behauptung aufgestellt, daß die
Zustimmug der Landesvertretung allerdings erforderlich sei. Das hat in
einer dritten Sitzung den ersten Redner wieder veranlaßt, den Präsidenten
des Bundeskanzleramtes zu einer Aeußerung über diesen Punkt zu provo-
ciren, und diese Aeußerung wurde von Minister Delbrück dahin abze-
geben’), daß er zwar nicht in der Lage sei, eine authentische Interpretation
zu geben, daß aber nach seiner Auffassung die Zustimmung der Landesvertre-
tung nicht erforderlich sei, daß vielmehr der betreffende Bundesstaat seine Zu-
stimmung rite gebe durch die Erklärung seiner Bevollmächtigten im Bundesrath.
Ihre Kommission hat, soviel ich vernommen habe, lediglich das Recht der Aus-
legung der Ständeversammlung gewahrt. Ich habe keinen Anlaß, einer
solchen Wahrung entgegenzutreten. Es versteht sich von selbst, daß damit
auch der Regierung das Recht der Auslegung, wenn der Fall einmal prak-
tisch wird, vorbehalten ist. Wenn endlich die Kommission des hohen Hauses
demselben vorschlägt: einen Wunsch, einen dringenden Wunsch auszusprechen
in Absicht auf Vereinfachung und Ersparnisse im Staatshaushalt, so kann
ich in dieser Beziehung nur bemerken, daß der betreffende Passus der
Königlichen Thronrede unter den den neuen Verhältnissen entsprechenden
Einrichtungen in Verfassung und Verwaltung des Landes gewiß nicht
Komplikationen sondern allerdings Vereinfachungen auf diesen Gebieten
im Auge gehabt hat. — Zur Sache, meine Herren, glaubt die K. Regierung
der Gesammtheit geboten zu haben, was die Gesammtheit nöthig hat, für
das Land vorbehalten zu haben, was dem Lande dienlich ist. Wichtige
Rechte allerdings an die Gesammtheit wird in voller Erkenntniß die Krone
und sollen die Stände des Landes abtreten, aber sie werden auch eintreten
in die Gesammtheit und werden als Ersatz wichtige Rechte erhalten im
deutschen Staatswesen. Unsere Stellung und Bewegung in diesem Staats-
wesen wird um so besser und gedeihlicher sein, je unbefangener und freier
wir in die neuen Verhältnisse uns einleben, sie auffassen. Deshalb, meine
Herren, glaube ich, daß manche Befürchtung, die jetzt noch die Gemüther
bewegt, mit der Zeit auf ein viel geringeres Maß sich herabstimmen wird.
Ich glaube ferner, die K. Staatsregierung kann dem Urtheile, welches
sie in Ihren Beschlüssen, in Ihrer Abstimmung zu finden hat, ruhig ent-
gegensehen. Ganz richtig ist: die Verfassung, wie sie jetzt Ihnen vorliegt,
ist der Vervollkommnung fähig, ja ich würde auch zugeben, sie ist der Ver-
rellkommnung bedürftig; und wer wollte bestreiten, daß erhebliche materielle
Lasten jetzt auf das Land genommen werden sollen. Vertrauen wir aber,
meine Herren, daß die deutschen Fürsten, daß das deutsche Volk, wenn
uur einmal für die Dauer geeinigt, in dieser Einigung sich auch zu helfen
und einzurichten verstehen werden, besser und vollkemmener, als dieß in
der Vereinzelung möglich!
—
*) S. oben S. 307.