Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

520 Würtemberg. Kammer der Abgeordneten. 
ich müßte mich täuschen (ich hatte keine Zeit, mich durch das Stenographische 
Protokoll des Rcichstages darüber zu unterrichten), wenn nicht der Norddeut- 
schen Reichstag beschlossen hätte, ein vollständiges Civilgesetzbuch ausarbeiten zu 
lassen. Sollte dies der Fall sein, so würde die Bundesgesetzgebung sich auch 
auf das Erbrecht, die Bestimmungen über Gütervertheilung K. erstrecken, 
und es würde darin nach meiner Ansicht eine große Gefahr für Süddeutsch- 
land liegen. Bekanntlich herrscht nämlich in Norddeutschland bei einem 
großen Theil des Publikums eine Tendenz für Zusammenlegung des Grund- 
eigenthums und Konzentration desselben, und es würde daraus eine große 
Gefahr für das süddeutsche Volk entstehen, welches sich der unendlichen Vor- 
theile und humanitären Wohltaten der gleichen Erbtheilung und freien Ver- 
theilung des Grundeigenthums wenigstens landrechtlich erfreut, wovon die 
bürgerliche Gleichheit und die Möglichkeit des Emporarbeitens für jeden 
Menschen zu Grundbesitz abhängt. Eine Civilgesetzgebung, welche uns dic 
Wohlthaten dieser Gesetzgebung entzöge oder schmälerte, müßte ich als das 
größte Unglück des Bolkes in Süddeutschland ansehen. Ich erlaube mir die Bitte 
an den Herrn Justizminister um Auskunft, was ihm darüber bekannt ist, eb die 
Civilgesetzzebung des Bundes sich auf alle Theile des Civilrechts ausdehnen soll. 
Justizminister v. Mittnacht"): Ich darf vielleicht sogleich bemerken, 
daß der Reichstag einen Beschluß, daß ein Deutsches Civilgesetzbuch ausge- 
arbeitet werden soll, nicht gefaßt hat. Es kann ein dahin gerichteter An- 
trag gestellt worden sein, aber ein Beschluß in dieser Beziehung wurde 
nicht gefaßt. Die Bundesgesetzgebung ist nach der damaligen Bundes- 
verfassung zur Erlassung eines umfassenden Civilgesetzbuchs nicht zu- 
ständig. 
Mohl: Ich danke dem Herrn Minister für diese Aufklärung; wir 
sind freilich dagegen nicht gesichert, daß nicht im Wege der Kompetenzer- 
weiterung die Civilgesetzgebung des Bundes dech noch auf alle Theile des 
bürgerlichen Rechtes ausgedehnt werden könnte. Ein anderes Gesetz, das 
des Norddeutschen Bundes vom 6. Juli 1870, über den Unterstützungs- 
wohnsitz ist in den vorliegenden Verträgen allerdings nicht unter denje- 
nigen aufgeführt, welche auf Würtemberg ohne Weiteres Anwendung finden 
sollen, sondern es fällt unter diejenigen Gesetze, deren Erklärung zu Bun- 
desgesetzen in dem neuen Bunde (und auch für uns) der Bundesgesetzge 
bung durch den vorliegenden Verfassungsentwurf vorbehalten ist. Ich will 
daher diesen Gegenstand nur flüchtig andeuten und bemerken, daß dieses 
Gesetz einen wahren Umsturz in unserer Gesetzgebung über Heimaths= und 
Armenverhältnisse bringen würde. Jenes Norddeutsche Bundesgesetz über 
den Unterstützungswohnsitz bestimmt nämlich, daß jeder Bundesangehörige 
nach zwei Jahren, welche er aus irgend welchem Grunde, sei es in einem 
*) S. 32 I.
	        
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