Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

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zesagt bat, daß leicht nach der ungehenern Aufraffung eines so großartigen 
Natienalkrieges die Kräfte des Volkes einigermaßen erschlaffen, es tritt 
eine gewisse Indolenz ein, welche sich leicht darin äußert, daß das Volk 
sich von den öffentlichen politischen Arbeiten abkehrt und sich dem Ruhebe- 
dürfniß hingiebt. Ist es nicht vielleicht von dem Schicksal gerade mit 
Rücksicht auf diese psochologische Erfahrung dem dentschen Volke beschieden, 
daß es nichts Vollkommencs, keine vollkommene Verfassung am Ende dieses 
Krieges bekommt; ist es nicht vielleicht vom Schicksal uns beschieden, daß 
für die Zukunft die Nothwendigkeit der Fortsetzung der öffentlichen politischen 
Arbeit dem Deutschen Volke vorbehalten ist, um es nicht versinken zu lassen. 
in träger Ruhe und Erschlaffung nach der Aufregung des Kricge? Wenn 
wir die Gewißheit ins Auge fassen, daß wir die Verfassung, die Merträge, 
die Gesetze entweder im Ganzen annchmen oder ablehnen müssen: wenn 
wir die Gewißheit ius Auge fassen, daß überhaupt ein anderer Weg um 
zur Einigung zu gelangen gar nicht möglich war, so glaube ich, weist 
das überhaupt darauf hin, daß wir die ganze große uns vorliegende Auf- 
gabe auch mit großem Sinn und absehend von allen Einzelheiten und 
Kleinigkeiten auffassen müssen; wir müssen ins Ange fassen, wie sie ge- 
schichtlich geworden ist. Seit dem 30jährigen Kriege ist Deutschland in 
immer tiefere Erschlaffung versunken, und jede andere Nation, welche nicht 
diesen Kern der Volkskraft in sich getragen hätte, wäre unter den Schlägen 
zu Grunde gegangen. Deutschland hat eine Provinz um diec andere in 
dieser Zeit verloren, und in jenen Jahren, in welchen es zum ersten Male 
Deutschlang beschieden war, sich wieder aufzuraffen, in den Freiheitskriegen 
ist den Deutschen das. Unglück begegnet, daß sie den Krieg nicht allein 
sondern an der Seite eigennütziger Verbündcter führen mußten, welche 
Deutschland beim Friedensschluß die schönsten Früchte des Sieges vorent- 
halten haben. Es trat dann jene Zeit ein, welche der Herr Abgeerdnete 
ron Aalen uns als so friedlich, so idyllisch, so glücklich geschildert hat. 
Ich glaube nicht, daß er mit dieser Schilderung irgend andächtige Herzen 
in diesem Hause und noch weniger im ganzen Deutschen Volke gefunden 
hat; ja selbst Dieienigen, welche mit den neuesten Zuständen seit 1866 nicht 
einverstanden sind, waren es mit der Auffassung dieser Zeit des alten 
Bundestags ebenso wenig. Herr Mohl hat uns gesagt, daß es die fried- 
lichste Zeit für Deutschland gewesen sei, in welcher es kein answärtiger 
Staat gewagt habe, uns mit Krieg zu überziehen, und in welcher wir 
allen Künsten des Friedeus leben kounten. Warum hat uns aber keine 
auswärtige Macht bedroht? Einfach deßhalb, weil in der ersten Zeit das 
Sriedenebedürfniß nach 20jährigen Kriegen in Europa ein allgemeines ge- 
wesen ist, und später, weil das schwache zerrissene jammervolle Deutschland 
mit seiner politischen Schwäche Frankreich, dem in Europa gebietenden 
Staate, keinen Anlaß gab uns mit Krieg zu überziehen. Deutschlands 
Schwäche war von jeher Frankreichs Stärke und Stolz und wenn Deutsch-
	        
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