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den Deutschen Nationalstaat zu errichten und demselben als Morgengabe
das schon früher gewonnene Schleswig-Holstein, das jetzt wieder erworbene
Clsaß, Deutsch-Lothringen und wohl auch Luxemburg beizufügen. Zu
diesem großen Werk in unserem Theil mitzuwirken ist dieser Volksvermetung
beschieden. Ich glaube, wir werden begeistert und stolz darauf, daß uns
tiese schöne, Jroße, erhebende Aufgabe geworden ist, unser Ja zum Deutschen
Verfassungswerk sagen.
Cekterlen'): Meine Herren! Ich stehe nicht auf dem partikularistischen
Standpunkt des Herrn Abgeordneten von Nalen, aber auch nicht auf dem
natienalliberalen des Hernn Abgeordneten von Böblingen; ich sehe die Zu-
kunft Deutschlands nicht so düster wie der erstere, nicht so rosenfarbig wie
der letztere Herr Abgeordnete. Ich begreife, daß wenn die polttische Einheit
Deutschlands hergestellt werden soll, der einzelne Staat große Opfer an par-
tikularer Selbstständigkeit zu bringen hat, und bin, da ich stets den natio-
nalcn Gedanken festgehalten habe, gern bereit der Einheit Deutschlands diese
Opfer zu bringen, wenn ich auch nicht die Ehre habe der Partei anzuge-
bören, welche sich als die vorzugsweise deutsche oder nationale bezeichnet. Ich
glaube, diejenigen, welche die großdentsche Idee verfolgt haben, sind in
ceminentem Sinne national gewesen, nationaler als die Anhänger der klein-
deutschen Parteirichtung; denn der Froßdeutsche Gedanke will, daß die politi-
sche Gestaltung Deutschlands auf Grundlage der Zusammengehörigkeit der
ganzen deutschen Nation erfolge; die kleindeutsche Partei dagegen beruht auf
der Trennung der ganzen Nation, auf der Ausscheidung eines Theiles der-
selbken vom Verbande der übrigen, und kann insofern nicht in dem Grade
sich national nennen wie die großdeutsche. Meine Herren! Ich gehöre auch
nicht zu Denen, welche ihre Augen den Ereignissen der Gegenwart verschließen
und hartnäckig einen Gedanken festhalten, über welchen die Geschichte weg-
gegangen ist. Die großdeutsche Jdce kam meines Erachtens nicht mehr
als die politisch maßgebende in Deutschland — wenigstens nicht so, wie sie
früber aufgefaßt wurde — festgehalten werden. Die Greignisse des Jahres
1866 haben die Initiative Oesterreichs zu einer Neugestaltung der deutschen
Bundesverhältnisse ausgeschlossen. Die später folgenden Ereignisse, insbe-
sendere der Kricg des Jahres 1870 haben auch den Gedanken beseitigt, in
ciner Verbindung der süddeutschen Staaten umter sich, im Zusammenhang
mit einem weiteren Bund, welcher Preußen und Oesterreich, also die drei
deutschen Gruppen umfaßt hätte, Großdentschland in solcher Form zu rer-
wirklichen. Soviel über den im Prager Friedensvertrag vorbehaltenen Süd-
kund gesagt und soviel gegen ihn eingewendet wurde: das wird sich nicht
bestreiten lassen, daß er eine außerordentlich friedliche Bedentung hatte und
daß das Zustandekommen desselben und die im Zusammenbang damit stehende
wenigstens internationale Verbindung Preußens, Oesterreichs und Süddeutsch-
*) S. 39. Damit deginnt die 5. Sitzung vom 23. Dezember 1870.
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