534 Würtemberg. Kammer der Abgeordneten.
deutschen Staaten zu dem Ergebniß dieser Vereinbarung wäre dann leichter zu
erzielen gewesen, als jetzt, namentlich in Baiern, der Fall ist. Wenn aber
auch dieser Weg — vielleicht ist er von unserer Regierung gar nicht angestrebt,
vielleicht ron Preußen abgelehnt worden — nicht beliebt wurde, so hätte sich,
meine Herren, dringend empfohlen, daß die süddeutschen Regierungen, we-
nigsteus diejenigen, bei welchen ein Zusammengehen möglich gewesen wärc,
sich zunächst unter sich über die Haltung und die Giundlage verständigt
hätten, welche sie bei den Verhandlungen mit Preußen über den Anschluß
festzuhalten beabsichtigten. Wir baben gestern von dem Herru Justizminister
vernommen, daß derselbe den Besprechungen zwischen dem Stellvertreter des
Bundeskanzlers Herrn v. Delbrück und den baierischen Ministern in Mün-
chen angewohnt habe, und es scheint mir dieß ein ganz richtiger erster Schritt
gewesen zu sein, um gemeinschaftlich wenigstens mit Baiem, an welchen
Staat wir zunächst augewiesen sind, sich über die Grundlage einer Verein-
barung mit Preußen in Betreff des neuen Bundesverhältnisses zu verständi-
gen. Allein es scheint dieser Weg von unserer Regierung nicht weiter ver-
folgt worden zu sein, und Sie haben, meine Herren, aus der Rede des
baierischen Justizministers v. Lutz entnommen, daß eine gewisse Pression
auf das Verhalten Baierus nicht durch Preußen ausgeübt worden sei, wohl
aber durch das einseitige Vorgehen der übrigen süddeutschen Regierungen,
unter welchen auch ohne Iweifel die würtembergische Regierung begriffen ist,
indem diese unter Verlassung eines weiteren gemeinschaftlichen Schrittes mit
Baiern für sich eine Einladung nach Versailles gesucht und gefunden und
für sich und ohne dort in einer Fühlung und engern Berathung mit den
baierischen Abgeordneten zu bleiben, sich mit Herrn v. Bismarck über ihren
Eintritt in den Norddentschen Bund zu verständigen gesucht haben. So,
meine Herren, mußte es kommen, daß der nene Verfassungebund in der
sonderbaren Form einer Reihe von Verträgen zwischen Norddemschland und
den süddeutschen Staaten hergestellt und daß für jeden dieser Verträge und
für jeden dieser Staaten wieder besondere Bestimmungen und besendere Vor-
behalte gemacht wurden, was nothwendig später zu Verwickelungen und
Schwierigkeiten führen und eine alsbaldige Revision des so mosaikartig zu-
sammengesetzten Verfassungeswerkes nothwendig machen wird. Das Schlimmste
aber bei dieser Behandlungsweise ist das, meine Herren, daß dieselbe dahin
geführt hat, daß uns ein großes Verfassungs= und Gesetzgebungswerk vor-
gelegt wird. zu welchem wir bloß entweder Ja oder Nein sagen können, daß
die ständische Zustimmung, welche zu demselben nun in den einzelnen süd-
deutschen Staaten eingeholt wird, offenbar mehr nur den Charakter des
Scheins hat, mehr nur dazu dient, zu verhüllen, was in Wirklichkeit vor-
liegt, nämlich die Oktroirung einer Verfassung für das deutsche Volk.
Ich glaube, meine Herren, es ist von übler Bedentung für die konftitutio-
nelle Zukunft des neuen Deutschen Reiches, daß seine Verfassung auf solche
Weise, in einer Weise beschafft worden ist, welche kaum behaupten läßt, daß
sie mit der freien Zustimmung der Vertreter des deutschen Volkes hergestellt