536 Würtemberg. Kammer der Abgeordneten.
daß der Art. 5 der Nordbundsrerfassung dem König von Preußen ein ab-
solutes Veto gegen jede Aenderung in Bezug auf das Militärwesen und in
Bezug auf den dazu nöthigen Aufwand einräumt, daß also nur in Bezug
auf die künftigen Erhöhungen und künftigen Mehrausgaben die konstitutio-
nelle Mitwirkung des Reichstags stattfindct, keineswegs aber — und auch
nach dem letzten Dezember 1871 nicht — in Bezug auf die Ausgaben für
das Militär, soweit sie nach den bestehenden Gesetzen und Verordnungen in
Preußen und dem Nerddeutschen Bunde nothwendig sind. Nun ist aber bei
der Gründung des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867 und bei dem da-
mals ganz gewiß dem Grafen Bismarck vorschwebenden Gedanken, es könne
doch möglicherweise dieser Norddeutsche Bund noch einmal in kriegerische
Verwicklungen gerathen, der Aufwand für das Militär so hoch gegriffen,
die Friedenspräsenz so hoch festgesetzt worden, daß an eine noch stärkere Er-
höhung auch der kriegslustigste und soldatenfreudigste Monarch nicht denken
wird, daß also der Umstand, daß bei einer etwaigen Steigerung die Mit-
wirkung des Reichstages einzutreten habe, kaum in Betracht kommt, wohl
aber die ernstlichste Besorgniß für das materielle Interesse des Deutschen
Volkes platzgreifen muß, es möchte der damals firirte Militäraufwand an
Geld und Mannschaft auf die Länge schwer zu ertragen sein. Es ist zwar
in dieser Beziehung gestern ron dem Herrn Abgeordneten von Böblingen
darauf hingewiesen worden, daß eben die jetzigen Leistungen des Heeres die
lange Präsenz von drei Jahren vollständig rechtfertigen. Es ist dieß eine
Ansicht, welcher wir Alle in dem vorausgegangenen Wahlkampfe häufig genug
begegnet sind, es ist ihr aber, meine Herren, entgegenzuhalten, daß weder
die Deutschen noch die Franzosen in diesem Kriege gezeigt haben, daß drei-
jährige oder noch längere Präsenz eine unumgängliche Bedingung zur Bil-
dung umd Herstellung eines tüchtigen Soldaten ist, und es haben ganz kurz
eingeübte Soldaten auf freundlicher und feindlicher Seite soviel und bei
entsprechender Führung vielleicht noch viel mehr geleistet als diejenigen, welche
drei und mehr Jahre unter der Fahne präsent gewesen sind. Derselbe Herr
Abgeordnete hat gestern uns, die wir seiner Zeit für die deutsche Reichsver-
fassung eingetreten seien, vorgehalten, daß sa aus dieser doch manches hin-
übergekommen sei in die Norddeutsche Verfassung, so daß wir aus diesem
Grunde konsequenter Weise auch für die Annahme der Verträge sein müssen.
Ich glaube, meine Herren, eine unglücklichere Berufung hätte nicht wohl
stattfinden, eine der Reichsrerfassung ron 1849 weniger entsprechende Vor-
lage hätte kaum gemacht werden können. Es ist wahr, die Verfassung des
Norddeutschen Bundes hat bezüglich der Komxetenz der Reichsgewalt wesent-
lich sich an die Verfassung von 1849 angeschlossen; allein jene Verfassung
zeichnet sich ror der des Norddeutschen Bundes eben vor allen Dingen darin
ans, was der Herr Abgeordnete von Böblingen vergessen zu haben scheint,
daß dieselbe auch gewisse Grundrechte der deutschen Nation festgesetzt, daß
sie ein verantwortliches Reichsministerium eingeführt hatte, daß sie dem
Reichstag die rollen konstitutionellen Gerechtsame einräumte, daß sie ein