Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Probst. 545 
Meine Herren! Der Gegensatz, in dem wir uns befinden gegenüber der 
herrschenden Ansicht, ist oft sehr falsch aufgefaßt worden; da war von 
preußenhaß die Rede, von republikanischen Tendenzen, es war heute noch 
die Rede von der verderblichen Koalition, in welche die großdeutsche Partei 
mit der Volkspartei eingetreten sei. Darüber, meine Herren, nur ein paar 
Vert. Wir haben im Jahre 1849 die Reichsverfassung hochgehalten; ich 
erinnere mich, daß ich bei meiner ersten Wahlbewerbung diese Reichsver- 
fassung, obwehl sie bereits beseitigt war, als ein Samenkorn bezeichnete, 
das in die Erde niedergelegt wohl zu einer künftigen Auferstehung berufen 
sei. Wir waren es stets, die an der Einheit Deutschlands festhielten und 
als Ziel einen wirklichen Bundesstaat mit gemeinsamem Parlament be- 
zeichneten. Und was das Verhältniß zu Preußen betrifft, so kann niemand 
der die Preußen aus nächster Nähe kennen gelernt hat, wie ich dazu Ge- 
legenheit hatte, leugnen, daß sie gewisse Vorzüge des Charakters haben, 
um welche wir sie beinahe beneiden dürfen. Es ist eine gewisse Selbst- 
überwindung und Festigkeit bei ihnen, eine Unterwerfung unter das Be- 
dürfniß des Staates, ein Zurücktreten des Individuums und des indivi- 
duellen Bedürinisses gegenüber dem, was man öffentlich zu leisten hat, — an 
welches unsere Bestrebungen noch nicht heranreichen. Das sind Vorzüge, 
welche sie befähigt haben so aufzutreten, wie es im gegenwärtigen Augen- 
blick der Fall ist. Ich leugne nur, daß damit das ganze berechtigte 
Sneben eines Volksstammes erfüllt sei, ich leugne, daß diese Unterwerfung 
unter die Omnipotenz des Staates für uns Deutsche das Richtige sei. 
Es gehört eine Ergänzung dazu, und diese leisten wir, leistet Süddeutsch- 
land in seinen höheren Bestrebungen, in den idealen Zielen, die wir uns 
zesteckt haben. In solcher Weise gehören wir zusammen, und es soll nie- 
mals geleugnet sein, daß die Zusammengehörigkeit von Nord= und Süd- 
deutschland ein Bedürfniß war von jeher. Aber etwas anderes ist es, 
meine Herren, was im jetzigen Augenblick geschehen konute und zu geschehen 
dbatte, und was wir dagegen zu thun im Begriff sind. Seit dem Jahre 
1866 haben wir niemals daran gedacht, daß die separate Stellung, welche 
Süddeutschland einnahm, etwas Bleibendes sein könnte; es mußte endlich 
zu einem Andern, zu einer Vereinigung mit Preußen kommen; aber das 
dachten wir, daß, wenn der Moment gekommen, den wir nicht zu beschleu- 
rigen nothwendig hatten, wir die Bedingungen zu stellen hätten, die uns 
eine befriedigende Verfassung für ganz Deutschland gewährten. Der Zeit- 
punkt ist gekommen, in welchem man handeln konnte und mußte, aber die 
Bedingungen sind nicht erreicht worden, welche wir hätten stellen müssen 
und welche hätten erreicht werden können. Wir sollen in den Norddeutschen 
Bund eintreten, ohne irgend wesentliche Konzessionen erhalten zu haben. 
Es wäre zu weit gegangen, wenn ich die einzelnen Einräumungen, die 
uns in dem Vertrag von Versailles zugestanden sind, näher beleuchten 
Nateriallen 111.
	        
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