Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Probfst. 547 
in Berlin sagen, wir haben keine Preßprozesse, man liest solche Aus- 
schreitungen der Preßfreiheit, theils um sich zu amüsiren, theils gar nicht, 
aber man fährt bei uns nicht gleich mit dem Schwerte drein. In Preußen 
aber, wo die Gesetze ungefähr die gleichen sind, ist die Ausführung der 
Art, daß der Preßprozeß chronisch geworden ist. Andere Grundrechte stehen 
in der preußischen Verfassung, aber in der Reichsverfassung nicht, hier 
findet sich nur ein einziges Grundrecht, das der Militärpflichtigkeit! Meine 
Herren! Das heiße ich einen Einheitsstaat ohne Freiheit. Einen Einheits- 
staat chne die Garantien der Freiheit aber kann man wohlfeil haben, ein 
selcher Einheitsstaat war Frankreich, das eben zusammengebrochen ist, und 
wenn Sie Rußland hieher zählen wollen, so werden Sie auch nicht fehl- 
gehen. Ein Einheitsstaat ohne die Garantien der Freiheit ist es nicht, 
was wir gewünscht, worauf wir gerechnet haben. Die Bedingungen hätten 
auch nach der andern Seite bessere sein müssen, als sie in diesem Bundes- 
staat sind, der den einzelnen Staaten das Recht von Bundesgenosseu nicht 
giebt. Jch weiß wohl, daß man in Betreff des Bundesrathes und in 
Beziehung auf die Frage des Staatenhauses sehr verschiedener Ansicht sein 
kunn: man sagt, die einzelnen Staaten hätten durch den Bundesrath mehr 
Recht als durch ein Staatenhaus; allein es kommt nur darauf an, wie 
die Sache ausgeführt wird. Im Bundesrath sind doch nur die Regierun- 
gen vertreten, und was hat denn damit der Bundesrath für einen Vorzug 
vor dem früheren Bundestag? Ist das aber eine Vertretung der Regie- 
wmngen und nicht des Volks, so können wir von unserem Standpunkt 
doch unmöglich zugeben, daß der Bundesrath eine richtige Vertretung der 
einzelnen Länder sei. Wenn ich statt dessen ein Staatenhaus wünsche, so 
müßte dieses freilich eine Einrichtung haben, welche über alle die gegen- 
wärtig herrschenden Ideen weit hinausgeht. So wenig ich für meinen Ge- 
danken jetzt auf Beistimmung rechnen kann, will ich ihn doch nicht unter- 
drücken, er könnte doch vielleicht auch als Samenkorn wirken. Was ist 
denn eigentlich der große Anstand bei diesem Bundesstaat, das große 
Hemmniß, durch welches er niemals zum eigentlichen Bunde werden zu 
keunen scheint? Nichts anderes als der Umstand, daß ein einziger großer 
Staat neben mehreren kleinen Staaten von so immenser Einwirkung auf 
alle übrigen ist, daß diese andern nothwendig an ihren Rechten einbüßen. 
Meine Herren! Hier muß man eben, wenn man darau geht, Deutschlands 
Größe zu gründen, den Gesichtskreis erweitern, man muß daran denken, 
daß sich in Preußen selbst eine Aenderung in dieser Richtung vollziehen 
follte. Wenn in einem Staatenhaus die Abgeordneten der preußischen 
Pprovinzen ebenso je in gleicher Zahl eingereiht würden, wie diejenigen der 
daneben stehenden Bundesstaaten, so daß Preußen selbst in gleichmäßiger 
Gliederung neben die übrigen Staaten sich stellte, die einzelnen Provinzen 
fich den übrigen Bundesstaaten näherten, würde nicht dadurch erst ein rich- 
liger Bundesstaat gegründet? Von dergleichen darf man freilich in jetzigem 
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