Probst. 549
zuleidthun dürfen, hier auch nur ein Wort fallen zu lassen, das irgendwie
beirrend auf sie einwirken könnte. Erlauben Sie mir darum nur eine
Reflerion anderer Art anzuknüpfen. Meine Herren! Als im Jahre 1866
der Deutsche Bund aufgelöst wurde, geschah es aus dem einfachen Grunde,
weil Preußen in diesem Bunde nicht mehr die richtige Form erblickte, in
welcher es seine Interessen in Deutschland verfolgen konnte; darum sagte
es sich von dem Bunde los. Im jetzigen Augenblick ist man darauf gefaßt,
daß, möge auch ein Frieden geschlossen werden wie er wolle, derselbe von
Frankreich nur so lange gehalten wird, als ihm nicht die Mittel zu Gebote
stehen, einen Rachekrieg gegen Deutschland zu führen. Das Beispiel wirkt
anfteckend, Rußland hat so eben gesagt: die Verträge des Jahres 1856 ge-
fallen ihm nicht mehr, darum seien sie nicht mehr verbindlich; der König
von Italien sagt ebenso: die September-Konvention paßt mir nicht mehr,
und seine Truppen überschreiten die päpstlichen Staaten. Die Lage, in
welcher sich die Welt befindet, ist eine eigenthümliche. Völkerrechtliche
Verträge gelten nicht mehr. Man kann sagen, auch früher hat man Ver-
träge, welche eine Last waren, nur so lange gehalten, bis die Möglichkeit
gegeben war, sie aufzuheben; aber ein durchaus wesentlicher Unterschied
besteht darin, ob der Bruch eines Vertrags in einzelnen Fällen stattfindet,
oder ob man sagt, es giebt gar kein öffentliches Recht mehr zwischen den
Staaten, und das Lvetztere ist jetzt der Ausdruck des Tages. Man hat
früher die Verträge geschlossen auf ewige Zeiten, das war nur ein Wort,
aber man hat sie auch geschlossen unter der Garantie anderer Staaten,
welche für die Erhaltung des durch fie begründeten Rechts einzustehen
hatten. Gegen eine solche Garantie hat man sich kürzlich ausgesprochen
von höchster Seite und der Philister hat getreulich nachgesprochen: „keine
Einmischung der fremden Mächte!“ — ohne zu bedenken, was darin liegt.
Meine Herren! Das find trostlose Aussichten, aber ich spreche bloß davon,
um zu zeigen, was davon zu halten ist, wenn man uns behauptet, unsere
Militärlasten und alle die mit ihnen verbundenen Zustände seien vorüber-
gehend. Sie find nicht vorübergehend, die Militärlasten sind nicht zu be-
seitigen, weil immer neue Kriege drohen werden, und wir wissen nicht, in
wie ferner Zeit sie beseitigt werden können; ebenso lange werden aber auch
andere große Lasten darum nicht beseitigt, weil der Militärstaat seine Ein-
wirkungen auf alle andern Verhältnisse üben muß. Der Militärstaat aber
steht der Wohlfahrt des Volkes entgegen, weil er die Gelder in übergroßem
Maße zu militärischen Zwecken verwendet. Meine Herren! Ich bin der
Anschauung, daß nicht auf dem Wege der Entwicklung dieser Zustände
sondern nur auf dem Wege der Reaktion gegen dieselben die Veränderung
zum Bessern eintritt. Wir können nicht wissen, was unser Herrgott über
die Welt verhängt, und Prophezeiungen werden oft zu Schanden, aber
ich bin der Anficht, daß nicht durch das Fortwachsen und Gedeihen der
jetzigen Anstalten sondern nur dadurch, daß das Volk sie nicht mehr er-