Hoͤlder. 5 51
Er hat nachzuweisen gesucht, wie die Mehrheit und die Minderheit schwanken,
wie der, welcher heute von einer kleinen Zahl hier seine Ansicht vertreten finde,
in kurzer Zeit die Mehrheit für sich haben könne; er hat daraus abgeleitet,
daß diese Mehrheit, wie sie sich jetzt bei uns in so gewaltiger Weise geltend
gemacht hat, für einen Politiker nicht bestimmend sein könne. Meine Herren!
Ich gebe dem Abgeordneten von Biberach im Princip diesen Gedanken zu,
und ich meine auch meinerseits schon gezeigt zu haben, daß ich meine politische
Ansicht zu rertreten und zu vertheidigen weiß, ob ich bei der Minderheit
oder bei der Mehrheit bin. Aber, meine Herren, wenn diese Erwägung einen
Grund für das Verhalten selbst abgeben soll, so darf ein Gesichtspunkt nicht
übersehen werden, nämlich der, ob die Ansichten, welche man vertritt, in der
Richtung derjenigen politischen Entwicklung liegen, die sich eben weltgeschicht-
lich rollzieht, oder ob man sich einem nothwendigen historischen Proceß durch
Geltendmachung der eigenen abweichenden Ansicht entgegenstemmen will.
Ich weise deßhalb die Parallele mit den Fünfziger Jahren zurück. Damals
war die Mehrheit, welche sich gegen die Partei des Herrn Abgeordneten von
Biberach geltend machte, diejenige, mit deren Zustimmung die deutsch-einheit-
lichen Bestrebungen niedergeworfen worden waren. Heute sind wir dahin
gekommen, daß über eine beherrschende Mehrheit, welche sich seit Jahren bei
uns geltend gemacht hat, endlich die gesunde Ansicht des Volkes zum Durch-
bruch gekommen ist. Das ist der ganz wesentliche Unterschied. Wir, die
wir für die deutsche Einheit eintreten, sind von der Minderheit zur Mehrheit
herangewachsen; damals aber war in Folge der Abspannung des Volkes die
antinationale Partei zur Mehrheit gelangt. Der Herr Abgeordnete von
Biberach hat uns, wie mir scheint, einen Beweis für die Kommissionsanträge
an die Hand gegeben, der uns jeder weiteren Diskussion überheben könnte;
# hat gesagt, er müsse bei seiner Ansicht bleiben und deshalb Nein sagen;
frage man ihn aber, wie er sich verhalten würde, wenn er in der Mehrheit
wäre, ob er es dann auf sein Gewissen nehmen könnte, auf jede Gefahr hin
Nein zu sagen, so erwiederte er: dann würde er es vorziehen, sich zurück-
zuziehen. Ja, meine Herren, darin liegt ein Zugeständniß der unbedingten
Nothwendigkeit, Ja zu sagen; denn wenn die Herren, welche Nein sagen,
mgeben, daß sie als Mehrheit sich zurückziehen müßten, so erkennen sie die
Nethwendigkeit an, daß im Interesse des Staats so gehandelt werden muß,
wie wir es vorschlagen. Und, meine Herren, wenn das feststeht und zuge-
geben wird, daß das Wohl des Staates die Annahme der Verträge erfordert,
dann ist es Pflicht des Politikers, seine abweichende Ansicht zu überwinden
und solche dem Wohle des Staates, welches stets ausschlaggebend sein muß,
unterzuordnen. Von der andern Seite wurde wiederholt Beschwerde darüber
erhoben, daß man so rasch vorwärts gehe; es wurde von Seiten des Herrn
Abgeordneten von Waldsee die überraschende Behauptung aufgestellt, daß das
Volk sich in weiten Kreisen an den Wahlen nicht betheiligt habe, daß eine
gewisse politische Richtung es im Hinblick auf den Frieden, der während des