Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

554 Würtemberg. Kammer der Abgeordneten. 
Gegner, mit denen der Herr Abgeordnete von Biberach seit Jahren in treuer 
Allianz stund, sonst geltend gemacht wurde, ist neuerdings nicht mehr gehört 
worden, nämich die Einwendung, daß, wenn die Deutsche Einheit geschaffen 
werden solle, Preußen vorher in Stücke zerschlagen werden müsse. In dieser 
Beziehung scheint die Macht der Thatsachen auch für unfere Gegner über- 
wältigend gewesen zu sein. Der Herr Abgeordnete von Biberach macht heute, 
wie es scheinen könnte, äußerst billige Anforderungen. Er ist bereit, die 
Hand auch seinerseits zur Einigung zu bieten, nur wünscht er, daß die Ge- 
legenheit jetzt benützt würde, um gute Bedingungen zu erlangen, und er glaubt, 
daß Süddeutschland seinen Eintritt im Sinne einer besseren Sicherung der 
Volksrechte verwerthen könnte. Mit diesem Verlangen steht in Verbindung 
die Forderung, welche von anderer Seite erhoben wurde, es solle das Deut- 
sche Verfassungswerk einem konstituirenden Reichstag vorgelegt werden. Ja, 
meine Herren, wenn wir uns auf diesen konstituirenden Reichstag einlassen 
würden, da müßte ich fürchten, daß vor lauter Bedingungen und Vorschlägen, 
die von allen Seiten, und zwar von den verschiedensten Seiten gemacht würden, 
schließlich gar nichts herauskäme. Eine solche Verschleppung, mit welcher der 
Herr Abgeordnete von Waldsee wahrscheinlich auch einverstanden sein w#rde, 
könnte gar leicht dazu führen, daß wir am Ende, wenn wir recht lange Be- 
rathungen und Sitzungen dieses konstituirenden Reichstags durchgemacht hätten, 
mit einem großen Nichts denselben schließen müßten. Solche Erfahrungen 
baben wir eben leider schon früher gemacht, und glücklicherweise ist das 
deutsche Volk durch diese Erfahrungen gewitzigt worden. Könnte man an- 
nehmen, daß auf diesem konstituirenden Reichstage nur solche Parteien er- 
scheinen würden, welche es wirklich ehrlich mit der Deutschen Einheit meinten, 
dann ließe sich die Sache am Ende uoch probiren, obgleich Experimente auf 
dem Gebiete der Politik immer bedenklich sind. Aber der konstituirende 
Reichstag würde von den Parteien zur Verhinderung des beabsichtigten 
Werks benützt werden, welche die Deutsche Einheit auf den Lippen tragen, 
sie aber im Innern hassen, weil sie die Form und die Grundlage, welche 
allein möglich ist für die Deutsche Einheit, verwerfen. In ähnlicher Weise 
könnte es auch mit den Bedingungen gehen. Meine Herren! Wir hätten 
Gelegenheit gehabt, an einem solchen konstituirenden Reichstage theilzunehmen: 
wir waren eingeladen dazu im Herbst 1866. Meine Freunde und ich haben 
verlangt, man solle die Einladung annehmen. Dort, auf dem damaligen 
konstituirenden Reichstag des Norddeutschen Bundes, zu dem auch wir ein- 
geladen waren, dort wäre der Platz gewesen, wo auch wir unsere MWünsche 
bezüglich der Reichsrerfassung bätten hören lassen können, wo auch unsere 
Anschaumngen, soweit sie von den norddeutschen abweichen, sich hätten ver- 
werthen lassen können. Aber, meine Herren, gerade die Herren, welche jetzt 
einen konstituirenden Richtung verlangen, welche jetzt von Bedingungenreden, waren 
diejenigen, welche die Annahme des Vorschlags und der Einladung vorzugs- 
weise verhindert haben; es waren diejenigen, welche damals sagten, unter
	        
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