Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

556 Würtemberg. Kammer der Abgeordneten. 
dann, meine Herren, begreife ich doch nicht, wie man uns zumuthen will, 
wir sollen Hand in Hand mit den Herren, welche diese Behauptung auf- 
stellen, Bedingungen verlangen für den Eintritt in den Norddeutschen Bund. 
Denn ihre eigene Ansicht schließt ja die Möglichkeit einer Verbesserung auf 
diesem Wege aus. Ich hoffe indessen, daß die letztere Prophezeiung des 
Herrn Abgeordneten von Biberach nicht in Erfüllung geben werde — wie so 
viele andere Prophezeiungen, welche von jener Seite in den letzten Jahren 
aufgestellt worden, nicht in Erfüllung gegangen sind. Ich würde es wahr- 
haftig als ein Unglück betrachten, wenn die Deutsche Verfassung nicht im 
Wege der Entwicklung ihre Verbesserung finden würde, sondern wenn durch 
eine große Reaktion das Werk, das jetzi geschaffen ist, beseitigt würde. Meine 
Herren! Bei dieser Reaktion würde wahrscheinlich auch Oesterreich seine 
Rolle spielen sollen, und dafür würde ich danken. Sollten wir noch eines 
Beweises bedürfen für die Richtigkeit des Weges, welchen wir gegangen sind, 
so finden wir ihn im Hinblick auf die unwiderstehliche Gewalt, mit welcher 
sich der nationale Gedanke in den letzten Jahren Bahn gebrochen hat. Wie 
ungünstig lag die Frage noch vor vier Jahren, mit welchen Schwierigkeiten 
hatie die nationale Idee, sofern sie auf dem Wege realisirt werden sollte, 
der jetzt sich vollzieht, zu kämpfen! Es hatten die Anhänger der nationalen 
Richtung mit dem verletzten Rechtsgefühle, mit einer gewissen Abneigung 
gegen den Norden, mit ultramontanen, mit ertrem radikalen Tendenzen zu käm- 
pfen! Wie leicht war es, das Volk zu bearbeiten mit Berufung auf den 
Geldbeutel. Und trotz aller dieser Hinternisse, trotz aller dieser Schwierigkeiten 
hat sich ron Jahr zu Jahr die Ueberzeugung breitere Bahn gebrochen, daß 
nur auf dem Wege, der 1866 von Preußen betreten worden ist, die Deut- 
sche Einheit sich vollziehen könne. Meine Herren! Es hat mir stets zur 
unendlichen Freudc gercicht, zu sehen, wie es so manchen wackeren Männern, 
welche nach ihrer innersten Ueberzeugung anfänglich Gegner meiner Anschau- 
ungen gewesen sind, allmählich durch den Gang der Ereignisse, durch näheres 
Nachdenken gelungen ist, sich selbst zu überwinden, wie sie jetzt redlich bei 
der Schaffung eines Deutschen Staates auf der gegebenen Grundlage mit- 
arbeiten. Meine Herren! Ich freue mich dieser fortschrcitenden Ueberzeu- 
gung vor allem deßhalb, weil ich auf ein gesundes politisches Leben nimmer- 
mehr hoffen könnte, wenn nicht endlich diese Deutsche Einigungsfrage zum 
Abschluß gebracht würde. Wohin würden wir kommen in Würtemberg, wenn 
auch fernerhin über diese Grundlage des Staats ein leidenschaftlicher und 
giftiger Streit fortdauern würde? Lange genug hat das würtembergische 
Staatswesen stagnirt und nothgelitten unter diesen Kämpfen der Parteien. 
Meine Herren! Gewiß muß es einen Gegensatz, einen Kampf im politischen 
Leben geben. Wenn er aber zum Heile des Staates dienen soll, so ist es 
nothwendig, daß die sich gegenüberstehenden Parteien eine gemeinschaftliche 
Basis haben, welche von allen anerkannt wird nicht bloß als nothwendiges 
Uebel sondern als eine wichtige und nothwendige Institution für die ganze
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.