Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

570 Würtemberg. Kammer der Standesherrn. 
abhängig zu machen. Die Ersahrung hat gelehrt, das der Norddeutsche 
Bund eine sichere und ergiebige Thätigkeit entfaltet hat; die Erfahrung 
des Zollparlaments hat ferner gelehrt, daß es auch sehr wohl gelungen ist, 
Beschlüsse, welche für den Süden bedenklich zu sein schienen, zu verhindern. 
Hiebei wird man wohl sich beruhigen können, überdies von der zuversicht- 
lichen, durch die Verhältnisse vollkommen begründeten Hoffnung getragen, 
daß der Hinzutritt so kräftig föderativer Elemente, wie die Staaten Süd- 
deutschlands, gerade die beste Garantie für Erhaltung des föderativen Cha- 
rakters des neuen Staatswesens bilden wird. Das Dentsche Reich zerfiel 
aus Mangel an einheitlicher Kraft, sein Gang erlahmte unter der Menge 
seiner Räder; dem früheren Deutschen Bunde wurden diese Gebrechen 
oft und allseitig genug vorgeworfen. Erschrecke man nun nicht wieder an 
der größern Einfachheit eines Organismus, der, was ja stets die Haupt- 
sache, seine Lebenskraft bewährt hat. Warte man doch nicht immer auf 
ein Ideal, das niemals kommt, und versäume dadurch die Gelegenheit, das 
Erreichbare zu gewinnen und das Gewonnene zu verbessern. Ist es aber 
vielleicht wahr, daß berechtigte Freiheit ihren Hort und Schutz in 
dem neuen Bunde nicht finde? Auch hiefür scheinen die Thatsachen 
nicht zu spKrrechen. Ein geringerer Grad von Freiheit im Nerden Deutsch- 
lands als im Süden wird sich wohl nicht nachweisen lassen. Man wird 
mit Wahrheit sagen können, daß man sich in ganz Deutschland des rich- 
tigen Maßes von Freiheit erfreut, uud wenn im Norden der Anutorität 
noch etwas mehr Geltung geblieben als im Süden, so ist dies fürwahr nicht 
zu beklagen. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes enthält aber über- 
dies Bestimmungen, welche an freiheitlicher Natur nichts zu wünschen übrig 
zu lassen scheinen; es möge hier nur an die unbeschränkteste Redefreiheit 
erinuert werden, wie sie den Reichstagsabgeordneten in Art. 30 garantirt 
ist, an die vollste Freiheit der Berichterstattung über die Verhandlungen 
des Reichstags, wie sie der Art. 22 sichert, an die Bestimmung des Art. 21, 
wornach Beamte zum Eintritt in den Reichstag keines Urlaubs bedürfen 
und bei Annahme eines Amtes mit höherem Rang oder Gehalt Sitz und 
Stimme im Reichstag verlieren. Allerdings hat die Verantwortlichkeit der 
obersten Regierungsgewalt den sonst gewöhnlichen Ausdruck noch nicht ge- 
funden; allein es ist sehr fraglich, ob die Schaffung von förmlichen Reichs- 
ministerien für die Erhaltung der bundesstaatlichen Natur des Reichs nicht 
eher gefährlich, als förderlich wäre. Und sollte denn die in Art. 17 der 
Bundesverfassung ausgesprochene Verantwortlichkeit des Hauptorgans der 
Regierung und die moralische Verantwortlichkeit der letzteren vor den Ver- 
tretern der Deutschen Nation so gar gering anzuschlagen seiu? Vor einer so 
großen, an Kräften aller Art reichen Versammlung verschwindet weit 
schneller, was nur Schein ist, falsche Staatskunft wird früher zu Schanden 
und das Urtheil der gebildeten politischen Welt vollzieht sich schließlich auch 
ohne äußere Mittel. Daß sich hieran etwas Wesentliches ändern sollte,
	        
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