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weil in den Reichstag nur solche Mitglieder gewählt werden können, welche
auf eigene Kosten am Sitze des Reichstags zu leben im Stande sind,
sellte im Ernst nicht behauptet werden. Ob Diätenlosigkeit an sich ein
Vorzug oder Nachtheil sei, mag dahingestellt bleiben; aber dieser Frage bei
Neugestaltung Deutschlands den Werth beizulegen, wie es vielfach geschieht,
hieße der Deutschen Nation doch in mehr als einer Beziehung ein Armuths-
zeugniß ausstellen. Wenn die Bundesverfassung keine Aufzählung von so-
genanuten Grundrechten enthält, so kann man wohl mit aller Ruhe entge-
genhalten, daß, was an denselben nicht bloße bedenkliche Theorie oder gar
Phrase ist, in dem Staatsrechte der Neuzeit als eingebürgert betrachtet
werden darf und im Wesentlichen seine Gewährleistung in der öffentlichen
Meinung ebenso gewiß findet, als wenn es in das geschriebene Recht auf-
genommen worden wäre. Daß endlich das Budgetrecht eine Beschränkung
binsichtlich der Ausgaben für das Heer erleidet, beruht auf einer Art von
Nothwendigkeit. Das neue Deutschland braucht sein Heer, und wird es
noch lange brauchen; seine Tüchtigkeit muß nach allen Beziehungen außer
Zweifel sein. Nicht darf es daher in Frage stehen und ein Agitations-
mittel für die Parteien bilden, ob die Mittel zu seiner genügenden Ausrüstung
fernerhin verwilligt werden, ob eine als bewährt erfundene Formation bei-
behalten werden könne und dergleichen. Auf all' dies würden nur die
Feinde Deutschlands lauern, um ihre verderblichen Plane wieder aufzu-
nehmen. Sind erst diese nicht mehr zu fürchten, so läßt sich doch in der
That nicht einsehen, warum das Bundesoberhaupt auf einem unnöthig ge-
wordenen Anfwand gegen den Willen des Reichstags beharren sollte; es
ist vielmehr gewiß die Annahme erlanbt, daß die Einwirkung eines konsti-
tutionellen Körpers, wie der Reichstag, stark genug sein werde, um mit
der Zeit die extreme Anwendung eines Präfidialrechtes in eine heilsame
Grenze zurückzuführen. Lehrt doch jeden Mann des öffentlichen Lebens
die Erfahrung, wie schwer das Regieren wird, wenn über solche Kardinal-=
fragen Meinungsverschiedenheit zwischen Staatsoberhaupt und Volksvertre-
tung obwaltet, und wenn der Mangel an bereitwilligem Entgegenkommen
auf der einen Seite stets die gleiche Wirkung auf der andern Seite in
densenigen Sphären hervorruft, wo die Thätigkeit auf dem freien Willen
teruht, und diese Sphäre ist im Staatsleben keine kleine; warum sollte
fich nun diese Erfahrung gerade in dem neuen Deutschen Bunde so ganz
nicht bewähren? Auch die Besorgniß vor finanzieller Ueberbürdung kann
kein Grund zu Ablehnung des Eintritts in den neuen Deutschen Bund
werden. Diese Ueberbürdung soll hauptsächlich durch den Militäretat her-
beigeführt werden. Nun vermißt man bei den Gegnern des Eintritts vor
Allem eine Aeußerung darüber, was denn die Mittelstaaten, was insbe-
sendere Würtemberg aufzuwenden hätte, wenn es nicht einträte? Die
Welllage ist nun einmal so, daß die militärische Kraft in allen Staaten
auf's Höchste angespannt wird, und es wird dieß um so gewisser der Fall