576 Würtemberg. Kammer der Standesherrn.
Beamte der Kaiser ernennt. Aus dem Fortbestehen der einzelnen Bundes-
staaten als getrennter Staaten folgi von selbst, daß der Kaiser die höchsten
Spitzen der preußischen Beamtenwelt stets mehr kennen wird, als die
obersten Beamten der übrigen Staaten; ebenso, daß den hohen preußischen
Beamten je ihre Landsleute besser bekaunt sein werden, als die Beamten-
well der übrigen Länder. Auch wenn daher bei dem Kaiser und seinen
Räthen durchaus nicht die Absicht vorauszusetzen ist, bei der Berufung in
den Reichsdienst die preußischen Beamten vor den Beamten der übrigen
Staaten in unbilliger Weise zu bevorzugen, so wird doch eine Bevorzugung
der CErsteren in ganz natürlicher Weise aus dem Umstande sick ergeben,
daß jene au maßgebender Stelle besser bekannt sind als diese. Der große
Einfluß der Bureuufratie auf die ganze Verwaltung und Gesetzgebung
fübrt aber ohne irgend welche schlimme Absicht der Beamten von selbst
auf vorzugsweise Beachtung der Interessen derjeuigen Länder, welche jene
Beamten am besten kennen. Angesichts aller dieser Verhältnisse hätte es
für unser engeres Vaterland weitaus den Vorzug verdient, das Prinzip
der freien Vereinbarung möglichst beibehalten zu sehen. Zahlreiche Beispiele
haben dargethau, daß auch auf diesem Wege zum Ziele zu gelangen ist.
Umständlicher, schwieriger — ja; aber dieser Nachtheil wird namentlich für
die Staaten, welche im Bundesrathe und Reichstage auf häufiges Majo-
risirtwerden gefaßt sein müssen, weit mehr als aufgewogen durch die Mäg-
lichkeit, bei freien Verhandlungen ihren Interessen die gebührende Geltung
zu verschaffen. Soviel von demjenigen Theile der Verträge, welcher die
Wohlfahrtofragen im engeren Sinne betrifft. — Aber auch der andere Theil
derselben, welcher auf den Schutz der Rechte nach innen und nach außen
sich bezieht, giebt zu den ernstesten Bedeuken Anlaß. In den hieher ge-
hörigen Bef.,immungen haben wir wohl den wichtigsten Theil der ganzen
Vorlage und denjenigen zu erkennen, welcher zu der Eutstehung der ver-
liegenden Uebereinkunft hauptsächlich Anlaß gab. Wohl ist es begreiflich,
daß die Ereignisse des Jahres 1870 dem alten Wunsche nach Deutscher
Einigkeit den kräftigsten Ausschwung verliehen. Aber so gerecht dieser
Wunsch auch sein mag und so laut er sich geltend macht, er entbindet kein
Mitglied der Ständerersammlung seiner Pflicht, die Mittel, wedurch die
Erfüllung jenes Wunsches erzielt werden soll, auf's Genaucste zu prüfen,
und die dadurch in ihm enstandene Ueberzeugung über die Verträglichkcit
dieser Mittel mit dem Wohle von König und Vaterland offen auezusprechen.
Bei jener Prüfung wird man freilich Umgang nehmen müssen von einer
Vergleichung der jetzt zu schaffenden Verhältnisse mit jenem Zustande,
welchen wir hatten, ehe das Jahr 1866 Oesterreich von dem übrigen
Deutschland lostrennte, — von jeder näheren Ausführung, wie damals die
wesentlich defensive Verbindung einer Bevölkerung von mehr als 70 Mil-
lionen Menschen im Herzen Europa's den einzelnen Staaten nur geringe
Opfser für militérische Zwecke auferlegte, und doch die äußere Sicherheit