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Deutschlands und Oesterreichs beinahe ein halbes Jahrhundert hindurch be-
wahrte und bei einigem Zusammenhalten auch noch länger in Frieden be-
wahrt haben möchte. Aber vergleicht man die jetzigen Vorschläge auch nur
mit dem, was seit 1866 für uns bestand, so müssen sich schwere Bedenken
zegen jene erheben. Der Allianzvertrag von 1866 hat für uns ein Bünd-
niß begründet, bei welchem das Maß der militärischen Leistungen, welche
ren Würtemberg zu gewähren seien, nicht besonders festgesetzt war, mithin
zunächst von diesem selbst zu bestimmen blieb, oder doch auf keinen Fall eine
höhere als die Anferderung an den würtembergischen Staat begründet er-
schienen wäre, daß er seine militärischen Leistungen nicht unter das zur
Zeit des Abschlusses des Bündnisses normirte Maß, d. h. nicht unter die
Anforderungen der früheren Bundeskriegsverfassung herabsetzen solle. Ganz
anders die neuen Vorschläge. Sie steigern das Heer, welches wir zu stellen
baben, von den etwa 27,000 Mann der alten Bundeekriegsverfassung auf
ctwa 42—45,000 Mann, oder — wenn man die Landwehr mit 30—32,000
Mann hinzurechnet — auf nahezu das Dreifache, den Stand der präsent zu
haltenden Mannschaft von etwa 7—8000 Mann auf 17,783, und den
ordentlichen Aufwand für Militär, der vor 1866 auf weniger als 4 Mil-
lionen Gulden jährlich veranschlagt war, auf mehr als 7 Millionen. Weit
höher noch stellt sich diese Summe, wenn man den voraussichtlichen außer-
erdentlichen Aufwand hinzurechnet. Es wäre nun entschieden unrecht, wenn
man diese ganze Steigerung nur dem Eintritt Würtembergs in den Nord-
deutschen Bund zu Lasten legen wollte. Man konnte bis zur Mitte dieses
Jahres sich der Hoffnung hingeben, daß der Friede für Deutschland noch
lange währen dürfte. Das übrige Europa hatte die 1866 in Deutschland
erfelgten Aenderungen nicht beanstandet, ven Deutschland war sonst kein
Anlaß zu Unfrieden gegeben worden, und in der jedenfalls starken Kriegs-
rüstung des verbündeten Deutschlands hätte eine bedeutende Abwehrung
gegen jeden frevelhaften feindlichen Angriff liegen sollen. Wenn aber ein
selcher doch erfolgte, konnte man hoffen, daß jene Kriegsrüstung ausreichend
sein werde. Auch die K. Staatsregierung stand diesen Ansichten sicher
nicht fern, als sie im verflossenen Frühjahr einige Verminderung der seit
186“ verabschiedeten Ausgaben für militärische Zwecke in Aussicht nahm.
Aber die Ereignisse der letzten 6 Monate haben solche Hoffnungen gründlich
zerstärt. Wir stehen in dem erbittertsten Kriege gegen Frankreich — und wenn
auch der Himmel uns bald zu einem uns glücklichen Ende dieses Krieges verhel-
sen sollte, so müssen wir nothwendig noch lange darauf gefaßt sein, daß das be-
fiegte Frankreich von Haß durchglüht trotz aller Niederlagen und Verluste, trotz
aller Schwächung seiner Hilfsmittel nur nach dem Augenblicke lechzt, wo es für
die erlittene Demüthigung an Deutschland sich rächen könne. Wir müssen
daher jedenfalls noch lange Zeit in möglichst starker Kriegsrüstung ver-
barren, um Deutschlands Gaue vor den civilisatorischen Horden Frankreichs
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