Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Neurath. 577 
Deutschlands und Oesterreichs beinahe ein halbes Jahrhundert hindurch be- 
wahrte und bei einigem Zusammenhalten auch noch länger in Frieden be- 
wahrt haben möchte. Aber vergleicht man die jetzigen Vorschläge auch nur 
mit dem, was seit 1866 für uns bestand, so müssen sich schwere Bedenken 
zegen jene erheben. Der Allianzvertrag von 1866 hat für uns ein Bünd- 
niß begründet, bei welchem das Maß der militärischen Leistungen, welche 
ren Würtemberg zu gewähren seien, nicht besonders festgesetzt war, mithin 
zunächst von diesem selbst zu bestimmen blieb, oder doch auf keinen Fall eine 
höhere als die Anferderung an den würtembergischen Staat begründet er- 
schienen wäre, daß er seine militärischen Leistungen nicht unter das zur 
Zeit des Abschlusses des Bündnisses normirte Maß, d. h. nicht unter die 
Anforderungen der früheren Bundeskriegsverfassung herabsetzen solle. Ganz 
anders die neuen Vorschläge. Sie steigern das Heer, welches wir zu stellen 
baben, von den etwa 27,000 Mann der alten Bundeekriegsverfassung auf 
ctwa 42—45,000 Mann, oder — wenn man die Landwehr mit 30—32,000 
Mann hinzurechnet — auf nahezu das Dreifache, den Stand der präsent zu 
haltenden Mannschaft von etwa 7—8000 Mann auf 17,783, und den 
ordentlichen Aufwand für Militär, der vor 1866 auf weniger als 4 Mil- 
lionen Gulden jährlich veranschlagt war, auf mehr als 7 Millionen. Weit 
höher noch stellt sich diese Summe, wenn man den voraussichtlichen außer- 
erdentlichen Aufwand hinzurechnet. Es wäre nun entschieden unrecht, wenn 
man diese ganze Steigerung nur dem Eintritt Würtembergs in den Nord- 
deutschen Bund zu Lasten legen wollte. Man konnte bis zur Mitte dieses 
Jahres sich der Hoffnung hingeben, daß der Friede für Deutschland noch 
lange währen dürfte. Das übrige Europa hatte die 1866 in Deutschland 
erfelgten Aenderungen nicht beanstandet, ven Deutschland war sonst kein 
Anlaß zu Unfrieden gegeben worden, und in der jedenfalls starken Kriegs- 
rüstung des verbündeten Deutschlands hätte eine bedeutende Abwehrung 
gegen jeden frevelhaften feindlichen Angriff liegen sollen. Wenn aber ein 
selcher doch erfolgte, konnte man hoffen, daß jene Kriegsrüstung ausreichend 
sein werde. Auch die K. Staatsregierung stand diesen Ansichten sicher 
nicht fern, als sie im verflossenen Frühjahr einige Verminderung der seit 
186“ verabschiedeten Ausgaben für militärische Zwecke in Aussicht nahm. 
Aber die Ereignisse der letzten 6 Monate haben solche Hoffnungen gründlich 
zerstärt. Wir stehen in dem erbittertsten Kriege gegen Frankreich — und wenn 
auch der Himmel uns bald zu einem uns glücklichen Ende dieses Krieges verhel- 
sen sollte, so müssen wir nothwendig noch lange darauf gefaßt sein, daß das be- 
fiegte Frankreich von Haß durchglüht trotz aller Niederlagen und Verluste, trotz 
aller Schwächung seiner Hilfsmittel nur nach dem Augenblicke lechzt, wo es für 
die erlittene Demüthigung an Deutschland sich rächen könne. Wir müssen 
daher jedenfalls noch lange Zeit in möglichst starker Kriegsrüstung ver- 
barren, um Deutschlands Gaue vor den civilisatorischen Horden Frankreichs 
Anaterialien 1i1. 37
	        
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