Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Nerrath. 581 
folger in dem Bewußtsein so großer Kriegsmacht, sowie auch in dem kriege- 
riscen Ruhm der Vorfahren stets eine gewisse Versuchung liegen, nach 
ähnlichem Ruhme zu streben. Jedenfalls sollte Ein Moment nicht unbe- 
achtel bleiben, durch welches die neue Bestimmung, eben weil sie es erleich- 
tert, die gesammte Deutsche Heere#macht auch zu Angriffskriegen zu einigen, 
das Interesse des gesammten Deutschlands zu schädigen droht. Die Sicher- 
heit eines Reiches, namentlich eines Reiches, welches von mächtigen Staaten 
umlagert ist, beruht nicht allein auf seiner Kriegsmacht, sondern auch auf 
den freundlichen Beziehungen, welche es mit andern Staaten sich erhält. 
Die Beziebungen Preußens zu dem übrigen Europa aber werden erschwert 
durch die Besorgniß, Preußen möchte auf Eroberungen denken. Diese Be- 
sergniß hat ihren Grund gerade in der großen Macht Preußens, welche 
die Möglichkeit solcher Eroberungen gewährt; sie hat ihren Grund ferner 
in den Vergrößerungen, welche Preußen 1866 durch seine Siege sich ver- 
schaffte; sie wird neue Nahrung erhalten durch die Wiedervereinigung des 
Elsaßes und Lethringens mit Deutschland, so gerechtfertigt auch in allen 
Beziehungen diese Wiedervereinigung ist; sie erhält weitere Nahrung durch 
die von so mancher Seite her stets erfolgende Betonung der Natioualität, 
kraft deren noch manche im neuen Deutschen Reiche bis jetzt nicht begriffe- 
nen Stämme für dieses sich gleichfalls ansprechen ließen, und zusammen- 
bängend hiermit selbst durch die Benennung Deutsches Reich und Deutscher 
Kaiser, da es wohl kaum Jedermann von selbst bewußt ist sondern der 
Welt erst klar gemacht werden muß, daß nicht die Absicht besteht, mit 
diesen Namen jetzt wieder den gleichen Begriff zu verbinden, den sie früher 
hatten. Je mehr nun solche Besorgniß freundliche und innige Beziehungen 
des neuen Kaiserreiches zu den übrigen Staaten Europas, namentlich das 
für den Frieden Europas so überaus wichtige gute Verhältuiß zu Oester- 
teich zu erschweren geeignet ist, um so mehr hätte in den neuen Verträgen 
sjede Bestimmung vermieden bleiben sollen, welche jene Besorgniß auf's 
Neue anzufachen geeignet ist. So wird denn die Ablehnung der obigen 
Bestimmung, welche Angriffskriege zu begünstigen geeignet erscheint, für 
den Frieden Europas, und somit auch für die Sicherheit Deutschlands 
bessere Früchte verheißen, als ihre Annahme. Bieten doch die Tafeln der 
Geschichte mehr als genügende Belege dafür, daß auch das mächtigste Reich, 
daß auch die tapfersten Heere den vereinten Kräften einer großen Mehrzahl 
ren ihnen bedrohter oder sich bedroht glaubender Staaten am Ende zu 
unterliegen Gefahr laufen. Nach allem diesem erscheint auch im Hinblick 
auf die militärischen Bestimmungen der vorliegenden Verträge deren Ab- 
lehnung begründet. — Es mäge gestattet sein, noch einiger weiterer Punkte 
kurz zu erwähnen, welche gleichfalls für diese Ablehnung sprechen. 
1) Nach Art. 78 der Verfassung können Aenderungen der Verfassung 
beschlessen werden, wenn im Bundesrathe 1 der Stimmen dafür find. 
Wenn also auch der eine oder der andere Staat, ja wenn die drei König-
	        
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