Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Joͤrg. 609 
Excellenz hat die Lehre von den Sibyllinischen Büchern auf den vorliegenden 
Casus augewendet, und dabei folgende Worte gesprochen: „Darf ich Sie 
denn nicht daran zurückerinnern, daß Preußen im Jahre 1866 bei Lösung 
des alten Bundes Vorschläge gemacht hat, die den Eigenthümlichkeiten der 
einzelnen Staaten noch ein wesentlich freieres Feld ließen als später die 
Nerddeutsche Bundesrerfassung? Jene Propositionen hat man zurück- 
gewiesen. Sie gingen ja viel zu weit!“ Meine Herren! Seine Errcellenz 
der Herr Staatsminister hat vollkommen Recht. Der preußische 
Bundeereform-Vorschlag vom 16. Juni 1866 — deun das ist das genaue 
Datum — ist für mich immer ein sehr merkwürdiges Dokument gewesen. 
Sehen Sie, meine Herren, ich habe die Zeitungsnummer, in der ich vor 
fünfthalb Jahren diesen preußischen Bundesreform-Vorschlag zum erstenmale 
las, mir aufgeboben und habe sie jetzt in der Hand. JIch rede nie gerne 
don dem, was ich außerhalb dieses Hauses etwa gesagt oder gethan habe. 
Sonst, meine Herren, könnte ich Sie versichern, daß ich damals vielleicht 
der einzige Mann in ganz Baie"rn gewesen bin, der für diesen Bundes- 
referm-Entwurf eingetreten ist und ihn der Beachtung der Deutschen 
Kabinete dringeud empfohlen hat. Aber Eines, meine Herren, darf ich 
sagen: Als ich ein Jahr ungefähr vorher zum erstenmal die Ehre hatte, in 
diesem Hause meine Stimme zu erheben, — es war das in der schrecklichen 
Zeit der schleswig-holsteinischen Jdeenverwirrung — damals, meine Herren, 
ging das Ziel meiner Rede dahin, man möchte doch um Gottes und des 
Velkes willen den mehr und mehr verbitternden Zankapfel, den Erbprinzen 
Friedrich von Augustenburg, — ich weiß nicht, wohin er jetzt gekommen 
ist, — man möcite ihn bei Seite setzen, und dieses Haus möchte die k. 
Staateregierung bitten, mit dem Aufgebete aller Mittel dahin zu streben, 
daß eine friedliche Einigung zu Stande komme zwischen den Fürsten und 
den Völkern Deutschlands. Sehen Sie, meine Herren, der Referent, der 
damals auf diesem Platze stand, hat hierauf gesagt, was man mir jetzt 
wieder sagt: der Abg. Jörg misse doch ein sonderlicher Liebhaber von 
Curiositäten sein, jedenfalls stehe er mit seiner Meinung ganz vereinzelt im 
kande. Und in der That, meine Herren, es ist fast so gewesen. Aber, 
meine Herren, wenn Se. Ercellenz der Herr Staateminister v. Lutz sagt: 
„Jeue Propositionen hat man zurückgewiesen, sie gingen ja viel zu weit", 
so babe ich ein bestimmtes Interesse dabei, zu fragen: Wer waren denn 
diese „man"“. Nun, meine Herren, es war die Majorität des damaligen 
Hauses in ihrer Gesammtheit und es war die Minorität des damaligen 
Hauses in ihrer Gesammtheit. Erinnern Sie sich denn nicht mehr, es war 
ja damals die Zeit, wo die Wände dieses Hauses bei jeder Gelegenheit 
widerhallten von Verwünschungen gegen die Politik von Blut und Eiseun, 
es war damals die Zeit, wo keine mehr oder minder feierliche Ansprache in 
diesem Hause gehalten werden konnte ohne einen feierlichen Baunfluch gegen 
die Politik: „Gewalt geht vor Recht.“ Erinnern Sie sich denn nicht, 
Ruerialien III. 39
	        
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