Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Joͤrg. 611 
Preußen konstatirt seine Verirrung in den Geist der Eroberungspolitik. 
Darum, meine Herren, konnte denn auch der darauf begründete Norddeutsche 
Bund nichts anderes sein, als was er war: die Erweiterung des preußischen 
Militärstaates über einige andere deutsche Gebiete. Aber, meine Herren, 
ich gehe nun einen Schritt weiter. Se. Excellenz der Herr Staats- 
minister hat ferner erklärt, und auch das Minoritätsgutachten hat behaup- 
tet, daß wir vor dem Kriege noch viel ausgiebigere Konditionen hätten 
erreichen können, daß vor dem Kriege der Eintritt in den Nordbund für 
uns mit wesentlich anderen Erleichterungen verbunden gewesen wäre. Nun, 
meine Herren, lassen Sie mich offen gestehen, diese Rede — man muß sie 
jetzt so oft hören — hat für mich immer etwas moralisch Revoltirendes. Denn 
sehen Sie, ich bin beim besten Willen außer Stande zu begreifen, wenn man 
sagt: ehe Baiern mit Aufgebot aller Opfer, die Land und Leute in so 
reichem Maße gebracht haben, in den Krieg an der Seite Preußens ein- 
getreten war, ehe Baiern in so vielen glorreichen Schlachten durch seine 
lapferen Krieger als rettender Schutzengel den preußischen Heeren zur Seite 
zestanden, — ehedem hätten wir bessere Bedingungen erreichen können, jetzt 
müssen es die schlechteren sein! Meine Herren, ich kann das nicht begrei- 
fen. Ich gehe aber sofort weiter und nehme mir die Freiheit, Ihnen die 
fragliche Aeußerung Sr. Erxcellenz des Herrn Staatsministers v. Lutz 
gleichkalls vorzulegen: „Wenn wir vor der großen BKrisis das Anerbieten 
zemacht hätien, uns mit dem Norddeutschen Bunde abzufinden, die Bedin- 
gungen, welche damals zu erlangen gewesen wären, würden noch ein ganz 
anderes Bild geboten haben, als der Vertrag, den wir Ihnen heute vor- 
legen.“ Nun, meine Herren, ziehe ich aus dieser Aeußerung — ich muß 
natürlich voraussetzen, daß sie vollkommen begründet ist — nicht abermals 
mit allem Rechte den Schluß: wenn Preußen uns vor dem Kriege ein noch 
ein ganz anderes Bild bietendes Vertrageverhäliniß hätte zulassen oder an- 
bieten können, hätte dann nicht Preußen nothwendig auch von diesem an- 
dern Bilde einer deutschen Einigung die Ueberzeugung haben müssen, daß 
durch dieses Bild dem „nationalen Geiste“ entsprochen, die „nationale Idee“ 
erfüllt und ein allen Bedürfnissen und Bedingungen eines geeinigten 
Deutschlands entsprechendes Bundesverhältniß hergestellt werde? Ich glaube, 
es wird auch diesen meinen Schluß Niemand widerlegen können. Ich 
ftage also abermals: warum denn jetzt ganz anders, ja warum das Gegen- 
lheil? Wenn man nun, meine Herren, und sagt, daß die nationale Idee 
uns zwingen soll, auf die Verträge wie sie liegen einzugehen, daun sage 
ich meinerseits: die nationale Jdee zwingt uns — die vorangegangenen 
Beispiele beweisen dies ja — dazu nicht; sondern es zwingt uns dazu nur 
das Bedürfniß des preußischen Militärstaates. Und wenn Preußen wirklich 
die k. Staatsregierung Baierns vor die Alternative gestellt hat, entweder 
in diesen Bund einzutreten oder draußen zu bleiben, dann sage ich: wir 
dleiben mit gutem Gewissen draußen. Ja, meine Herren, ich sage noch 
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