Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

M. Barth. 619 
loser Zustand in dieser Beziehung bestände, der uns auf keinen Fall in 
Baiern verpflichten würde, die außer Kraft getretene Bestimmung des Art. 60 
nach dem 31. Dezember 1871 in Baiem auf unser Militärwesen anzuwen- 
den. Wenn Sie sich noch besser überzeugen wollen, daß dies der wahre 
Sinn des Art. 60, wie er gegenwärtig in der Verfassung steht, sei, so bitte 
ich Sie mit demselben die ursprüngliche Fassung des Entwurfes der Nord- 
dentschen Bundesverfassung in Art. 56, der mit dem jetzigen Art. 60 kor- 
tesrondirt, zu vergleichen. Sie werden dann sehen, wie sehr der Entwurf 
anders lautete als gegenwärtig die Verfassung. Mit dieser Abweichung 
rem Entwurfe hat man doch sicher etwas erreichen und den Entwurf modi- 
fiziren wollen. Ursprünglich ist der Artikel 56, jetzt 60, in folgender Fassung 
rergelegt worden: „Die Friedenspräsenzstärke des Bundesheeres wird auf 
ein Prozent der Berölkerung von 1867 normirt und pro rata derselben von 
den einzelnen Bundesstaaten gestellt; bei wachsender Bevölkerung wird nach 
sc 10 Jahren ein anderweitiger Prozentsatz festgesetzt werden.“ Nach dieser 
Fassung wäre es allerdings richtig gewesen, daß die gegenwärtige Friedens- 
rräsenzstärke fortbestanden hätte, bis in Folge der wachsenden Bevölkerung 
durch ein Bundesgesetz eine andere Friedenspräsenzstärke normirt worden 
wäre. Das war die eiserne Militärlast, von der der Herr Referent spricht, 
aber diese eiserne Militärlast wollte eben der konstituirende Reichstag in 
Berlin auch nicht und deßhalb ist diese Fassung gefallen und wurde 
sich auf diejenige vereinbart, die jetzt in der Verfassung steht, und welche 
ganz deutlich den gegenwärtigen Friedenspräsenzstand nur bis zum 31. De- 
zember 1871 gelten läßt. Der Herr Referent hat in seinem Nachtrage 
rerschiedene Aeußerungen aus den Verhandlungen des konstituirenden Reichs- 
lages allegirt, um aus der Entstehungsgeschichte der Verfassung nachzu- 
weisen, daß seine Anschauung die richtige sei. Allein alle diese Stellen be- 
zieben sich gar nicht auf die gegenwärtige Fassung des Art. 60 der Ver- 
fassung, sondern auf die ursprünglich proponirte Fassung des Art. 56 des 
Entwurfes derselben wie ich sie eben verlesen habe, oder auf Amendements, 
welche hinter der jetzigen Fassung des Art. 60 zurückgeblieben und gleich dem 
Entwurfc nicht zur Annahme gelangt sind. All das bestärkt also nur meine 
Behauptung, welche schon durch den Wortlaut des Art. 60 gerechtfertigt 
wird, daß von einer eisernen Friedenspräsenzstärke nun und nimmermehr die 
Rede sein kann. Der Herr Kammersekretär (Zörg) macht nun allerdings das 
Bedenken geltend, ob denn der Reichstag, wenn er auch die Befugniß haben 
sollte, bei der Berathung des Gesetzes, welches durch den Art. 60 über die 
künftige Friedenspräsenzstärke vorgesehen ist, einen limitirenden Einfluß zu 
üben, von diesem Einflusse auch wirklich Gebrauch machen werde, und er be- 
zeifelt insbesondere meine Behauptung oder erklärt diesclbe viclmehr für 
eine sonderbare, daß auch die preußischen Konservativen zu einer solchen Ab- 
minderung der Militärlast, sobald es nur die Umstände erlauben, sobald die 
Belllage darnach angethan sein wird, bereit sein werden. Meine Herren,
	        
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