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loser Zustand in dieser Beziehung bestände, der uns auf keinen Fall in
Baiern verpflichten würde, die außer Kraft getretene Bestimmung des Art. 60
nach dem 31. Dezember 1871 in Baiem auf unser Militärwesen anzuwen-
den. Wenn Sie sich noch besser überzeugen wollen, daß dies der wahre
Sinn des Art. 60, wie er gegenwärtig in der Verfassung steht, sei, so bitte
ich Sie mit demselben die ursprüngliche Fassung des Entwurfes der Nord-
dentschen Bundesverfassung in Art. 56, der mit dem jetzigen Art. 60 kor-
tesrondirt, zu vergleichen. Sie werden dann sehen, wie sehr der Entwurf
anders lautete als gegenwärtig die Verfassung. Mit dieser Abweichung
rem Entwurfe hat man doch sicher etwas erreichen und den Entwurf modi-
fiziren wollen. Ursprünglich ist der Artikel 56, jetzt 60, in folgender Fassung
rergelegt worden: „Die Friedenspräsenzstärke des Bundesheeres wird auf
ein Prozent der Berölkerung von 1867 normirt und pro rata derselben von
den einzelnen Bundesstaaten gestellt; bei wachsender Bevölkerung wird nach
sc 10 Jahren ein anderweitiger Prozentsatz festgesetzt werden.“ Nach dieser
Fassung wäre es allerdings richtig gewesen, daß die gegenwärtige Friedens-
rräsenzstärke fortbestanden hätte, bis in Folge der wachsenden Bevölkerung
durch ein Bundesgesetz eine andere Friedenspräsenzstärke normirt worden
wäre. Das war die eiserne Militärlast, von der der Herr Referent spricht,
aber diese eiserne Militärlast wollte eben der konstituirende Reichstag in
Berlin auch nicht und deßhalb ist diese Fassung gefallen und wurde
sich auf diejenige vereinbart, die jetzt in der Verfassung steht, und welche
ganz deutlich den gegenwärtigen Friedenspräsenzstand nur bis zum 31. De-
zember 1871 gelten läßt. Der Herr Referent hat in seinem Nachtrage
rerschiedene Aeußerungen aus den Verhandlungen des konstituirenden Reichs-
lages allegirt, um aus der Entstehungsgeschichte der Verfassung nachzu-
weisen, daß seine Anschauung die richtige sei. Allein alle diese Stellen be-
zieben sich gar nicht auf die gegenwärtige Fassung des Art. 60 der Ver-
fassung, sondern auf die ursprünglich proponirte Fassung des Art. 56 des
Entwurfes derselben wie ich sie eben verlesen habe, oder auf Amendements,
welche hinter der jetzigen Fassung des Art. 60 zurückgeblieben und gleich dem
Entwurfc nicht zur Annahme gelangt sind. All das bestärkt also nur meine
Behauptung, welche schon durch den Wortlaut des Art. 60 gerechtfertigt
wird, daß von einer eisernen Friedenspräsenzstärke nun und nimmermehr die
Rede sein kann. Der Herr Kammersekretär (Zörg) macht nun allerdings das
Bedenken geltend, ob denn der Reichstag, wenn er auch die Befugniß haben
sollte, bei der Berathung des Gesetzes, welches durch den Art. 60 über die
künftige Friedenspräsenzstärke vorgesehen ist, einen limitirenden Einfluß zu
üben, von diesem Einflusse auch wirklich Gebrauch machen werde, und er be-
zeifelt insbesondere meine Behauptung oder erklärt diesclbe viclmehr für
eine sonderbare, daß auch die preußischen Konservativen zu einer solchen Ab-
minderung der Militärlast, sobald es nur die Umstände erlauben, sobald die
Belllage darnach angethan sein wird, bereit sein werden. Meine Herren,