Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

1871. M. Barth. 631 
Kammersekretärs in Bezug auf Kaiser und Reich. Er legt mir da etwas 
in die Schuhe, wegegen ich mich verwahren muß. Er sagt, das Minoritäts- 
Gutachten wolle die Kammer der Abgeordneten auch dadurch in eine Zwangs- 
lage bringen, daß es sich auf den Schritt beruft, den Se. Majestät der König 
getban hat zum Behufe der Wiederherstellung des Titels von Kaiser und 
Reich. Meine Herren, wir wollen die Kammer überhaupt nicht in eine 
Zwangslage rersetzen. Wir haben auch den fraglichen Punkt gar nicht als 
eine hervorragende Rücksicht geltend gemacht. Wir haben vielmehr in einer 
bescheidenen Weise gesagt: auch das Eigenthümliche der Erscheinung müßten 
wir andeuten, das darin läge, wenn Kaiser und Reich für Baiern nicht 
bestinden, nachdem doch gerade Baierns hochherziger Fürst es war, der die 
Initiative zu ihrer Wiederherstellung ergriffen hat. Nun, meine Herren, 
erstens ist eine Andeutung noch kein Zwang, und zweitens, daß die erwähnte 
Erscheinung eine eigenthümliche wäre, werden Sie mir Alle zugeben, 
sowie daß man in Situationen, wie die, in welcher wir uns befinden, auch 
die Rücksichten der Delikatesse nicht ganz bei Seite setzen darf. Wenn außer- 
dem noch so viele andere dringende Umstände für die Verträge sprechen, wird 
es erlaubt sein, auch diesen Umstand mit in Erwägung zu nehmen. Bei 
dieser Gelegenheit führt der Nachtrag zum Referate, eine Aeußerung des 
Herm Professor Dr. v. Sybel im Norddeutschen Reichstage darüber an, 
ob es besser sei, einen Kaiser oder cinen Präsidenten zu haben. Meine 
Herren, ich muß gestehen, für mich hat der Schritt, den Se. Majestät, unser 
allergnädigster König gethan hat, weniger Bedeutung gehabt wegen des 
Titels, den er dem Könige von Preußen als Oberhaupt des Deutschen Reiches 
angebeten hat, als deßhalb, weil der König von Baiern als der zweitmäch- 
tigste Deutsche Fürst den richtigen Moment ergriffen hat, um dem Könige 
von Preußen im Vereine mit den übrigen Fürsten zu erkennen zu geben, 
daß er die Lage jetzt so geartet finde, um in prägnanter Weise auszudrücken, 
daß Deutschland durch den Lauf der Geschichte — ich sage durch den Lauf 
der Geschichte, meine Herren — wieder ein Oberhaupt hat. Was übrigens 
den Kaisertitel selbst betrifft, so hat eben Herr Dr. v. Sybel wie andere 
Gelehrte auch manchmal eigenthümliche Ansichten. Herr v. Sybel hat ein 
Buch geschrieben, worin er darlegt, welch großer Nachtheil es für Deutsch- 
lund gewesen sei, daß die abendländische Kaiserkrene mit der Deutschen 
Königskrone verbunden wurde. Er ist darin der Meinung — und gewiß 
nicht ohne Grund — daß Deutschland sich einheitlicher und fester entwickelt 
bätte, wenn seine Könige den Deutschen Angelegenheiten ausschließlich sich 
bitten widmen können. Er ist aber in der Literatur bekämpft worden, indem 
man darauf aufmerksam gemacht hat und ebenfalls mit vollem Grunde, daß 
eben im Mittelalter, wo die staatlichen Verhältnisse nicht in der Weise geordnet 
waren, wie jetzt, die Kaiserwürde eine Nothwendigkeit war, um überhaupt 
Europa einigermaßen zusammen zu halten. Aber er hat sich einmal in die 
Sache verbissen und so kann er den Kaisertitel nicht gut leiden. Mir wäre
	        
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