664 Balern. Kammer der Abgeordneten.
gerade in der letzteren Zeit bewiesen hat, daß sie mit Leib und Seele, mit
Gut und Blut an unserem Lande hängt! Mit der Perspektive werden Sie
unmöglich beginnen können. Und was soll es im übrigen Baiern werden?
Glauben Sie, daß der Zustand, wie er in den beiden letzten Jahren geworden
ist bei den Parteien, die sich gegenüber stehen, auf die Länge dauern könne?
Es ist nachgerade zur Zeit kein Geheimniß, daß die Major tät dieser
Kammer für die Verträge ist. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, aber man
sagt es; daß aber die Majorität des baierischen Volkes, namentlich iu sei-
nem städtischen Theile, daß die Majorität in den verschiedenen Kreisen ent-
schieden für die Annahme der Verträge ist, das werden Sie nicht läugnen
können. Nun, man hat dort drüben das Recht, mit einer Stimme über
ein Dritttheil die Verträge zu verwerfen. Ja, das Recht hat man so gut,
wie Shylock auf seinen Schein hin auf ein Pfund Fleisch von dem
Herzen des Antonius weg das Recht gehabt hat. Werden Sie, sollen Sie
von dem Rechte Gebrauch machen? Ich bitte Sie, thun Sie es nicht. Wie
sehr Sie es auch wünschen sollten, ich bitte, thun Sie es nicht.
Glauben Sie denn, daß in den Kreisen, welche mit Leib und Seele, welche
mit ihrer ganzen Sehnsucht nach dem Deutschen Volke hinstreben, glauben
Sie denn, daß, wenn Sie zu Einem Mann mehr als ein Dritttheil des
Hauses die Verträge verwerfen, damit den Einheitsdrang und das Einheits-
gefühl von mehr als drei Viertheilen der baierischen Bevölkerung werden
ausgelöscht haben? Glauben Sie denn, daß der Kampf um den Eintritt in
das Deutsche Reich jemals bei uns in Baiern werde aufhören können?
Glauben Sie denn, daß das Deutsche Reich an den blauweißen Grenzpfählen
stehen bleiben werde, während es all= und weltbekannt ist, daß in ganzen
Kreisen die großen Majoritäten am Ende über diese Grenzen hinausfluthen
werden, um da zu sein, wo die übrige Deutsche Welt ist, um da zu sein,
wo das Deutsche Reich in seiner Herrlichkeit tagt! Glauben Sie denn,
fünfzig und ein Mann werden diesen Zustand in Baiern dem baierischen
Volke gegenüber aufrecht zu halten vermögen? Und wenn Sie das nicht
glauben können, ist es dann gut daran gethan, daß man jetzt den Kamxf,
die Agonie um die Existenz noch weiter treibe und noch weiter führe? An-
gesichts der Kämpfe, angesichts der Anstrengungen, angesichts des Blutes, das
Diejenigen, die uns beschützt haben, vergießen müssen? Sagen Sie nicht,
das sind „Soldaten"“, die sollen uns die Feinde, sie sollen uns die Fran-
zosen vom Halse halten, sie sollen aber und dürfen nichts in die Gestaltung
der Deutschen Verhältnisse darein reden. Sagen Sie das nicht! Würden
Sie dies Ihnen sagen, Sie würden ein tausendstimmiges Echo erhalten: „Wir, die
wir unser Herzblut für die Deutschen Grenzen gegeben haben, wir glauben auch
berechtigt zu sein, daß wir wenigstens ebenso stark für Deutschland fühlen und uns
aussprechen dürfen, wie diejenigen, die zu Hause geblieben sind. Wem ron
Ihnen ist aus Zuschriften, ist aus dem Umgange nicht die Stimmung be-