Greil. 679
hitten eine Zahl wunderbar; wie die einwirken könnten, das begreife ich.
We#, meine Herren, Spaß bei Seite, wie steht es im Ernste mit der Ver-
mwetung im Deutschen Reichstage? Ist denn, meine Herren, die Vertretung
ren der Art, daß man von ihr ein kräftiges Wirken für das Wohl Deutsch-
landé erwarten kann, und namentlich, wic unsere Verfassung gebietet, für das
gesammte Wohl, das gesammte Beste des gesammten Landes. Ist die Ver-
metung so, daß man dies erwarten kann? Wenn ich die Sache etwas näher
unschaue, so kann ich das nicht finden. Eine besondere Seite der Vertretung,
auf die man in Berlin allcs Gewicht legt, gegen deren Aenderung man sich
mit allen Kräften, ich möchte sagen, krampfhaft gewehrt hat und mit Erfolg
gewehrt hat: diese Seite ist die Diätenlosigkeit der Reichstags-Abgeordneten.
Das, meine Herren, will damit gesagt sein: Glauben Sie denn, daß ein
Mann, der ein Einkommen von 600 oder 700 fl., von 1000 oder 1200 fl.
besitzt, glauben Sie denn, daß der im Stande ist, nach Berlin zu gehen,
um dort während eines Aufenthaltes von etwa drei Monaten seine 6—800 fl.
einschließlich der Reisekosten zu verzehren. Wenn aber das nicht der Fall
ist, und wenn die Diätenlosigkeit dazu führt und dazu führen muß, daß nur
ein Theil des Volkes rertreten ist, nämlich der Reichthum, wenn sie dazu
führt, was geht dann aus einer solchen Erscheinung hervor? Sie wissen ja,
daß selbst wenn ein Mam optima tide handelt, doch das eigene Interesse
immer da und dort sich einzuschleichen sucht. Das eigene Interessc aber
macht sich am stärksten geltend gerade da, wo der Geldsack maßgebend ist.
Aber nun, meine Herren, wenn nur mehr Reiche im Reichstage sitzen können,
dann bleiben zwei Kategorien des gesammten Volkes ohne Wortführer, sie
bleiben unrertreten, und die Einrichtungen, Bestimmungen und Gesetze, welche
aus einem solchen Reichstage hervorgehen, werden nicht blos Lücken lassen,
sendern sie werden nach manchen Seiten hin entschieden schädigen, entschieden
verletzen. Soll ich, meine Herren, das vielleicht mit Beispielen beweisen?
brauche nicht zurückzugreifen auf das Alterthum, um dort zu zeigen, wie
#2. B. in Rom die reiche Aristokratie ihre Stellung in einer Weise ausge-
beutct hat, daß sie einer Räuberhorde verglichen werden konnte. Aber, meine
Herren, auf das weise ich Sie hin, was in Norddeutschland namentlich im
rorigen Jahrhundert geschehen ist. Als in den Landtagen, soweit sie noch
beftanden, die Prälatenkammer weggefallen war, und als nur mehr die da-
maligen höchsten Schichten in den Landtagen vertreten warcn — lesen Sie
nach in Döllingers „Kirche und Kirchen“, Sie werden die Angaben finden,
wie dort in dem einen und anderen Lande das niedere Volk nicht blos um
sein Hab und Gut gebracht worden ist, sondern geradezu zur Sklarerei herab-
gedrückt wurde, im Zeitalter der Aufklärung, im Jahrhundert der Philosoxhie!
Nun, meine Herren, wenn der Reichstag, wie gesagt, blos aus diesen Schich-
ten bestehen wird, können Sie hoffen, daß eine Vertretung entstanden ist,
welche allen Parteien, allen Schichten der Gesellschaft die gebührende Rech-
mug tragen wird? Ich muß das von meinem Standpunkte aus als eine