684 Baiem. Kammer der Abgeordneten.
Uaute verwenden. Wir haben ja das ausgesprochen im Ausschusse und die
Herren Staatsminister haben meines Wissens keinen Zweifel gchabt,
daß die Sache wirklich so ist. Wäre sie nicht so, so hätte man bestimmt
dortmals schon Auffklärung bekommen. Sie sehen also, meine Herren, daß
uns trotz der künstlichen Auslegung, die gemacht wurde, dennoch der Wortlaut
gegen eine solche Belastung, wie wir sie fürchten, nicht schützt. Wenn nun
aber die Sache so ist, dann muß ich weiter die Frage stellen: Wie kommt
es denn, daß unsere Staatsregierung sich bemüßigt fand, Verträge abzu-
schließen, betreffs deren in den autographirten Mittheilungen folgende Stellen
vorkommen: Im Hauptprotokoll Seite 33 heißt es: „Die unter Ziff. II 5 26
dieses Vertrages aufgeführte Uebergangsbestimmung des nunmehrigen Art. 79
der Verfassung findet auf Baiern in Anbetracht der vor gerückten Zeit
und der Nothwendigkeit mannigfaltiger Umgestaltung u. f. w.
keine Anwendung.“ In Anbetracht der vorgerückten Zeit! Der Nothwendig-
keit mehrfaltiger Umgestaltung! Und Seite 34 heißt es: „Da in Anbetracht
der großen Schwierigkeiten, welche theils die vorgerückte Zeit, theils die
Fortdauer des Kriegs der Aufstellung eines Etats für die Militärver-
waltung des Deutschen Bundes für das Jahr 1871 u. s. w. entgegenstellen.“
Und was hier vorkommt, kommt noch weiter dreimal vor. Noch dreimal
beruft sich die Regierung selbst auf die rorgerückte Zeit und den Mangel
an Material oder eines von Beiden. Ja wie kommt es denn, daß sie
Verträge abschließt, bei denen sie selbst fünfmal eingesteht, daß man wegen
Mangel an Zeit und wegen Mangel an Material die Sache nicht gehörig
Früfen konnte? Wie kemmt so ctwas? Ist denn der Vertrag, um den es
sich handelt, eine Bagatellsache: Ist es eine Bagatellsache, wenn man einen
Vertrag macht, welcher nach dem Wortlaute des Gesetzes selbst, des Vertrages
selbst, auf ewige Zeiten geschlossen ist? Ist es eine Bagatellsache, wenn
man einen Vertrag abschließt, eine Verfassung entwirft, welche über die künf-
tiöe Gestaltung eines Reiches entschciden soll, das Sie ja selbst, meine
Herren, als das erste Reich Europa's zu betrachten gewohnt sind, und das
wirklich, ich spreche es mit Freude und mit Hochgefühl aus, eine lange Reihe
von Jahrhunderten hindurch das erste Reich der Welt gewesen ist) Wäre
denn das eine Bagatellsache, über die man so weggeht, daß man auf die
Kürze der Zeit und den Mangel an Material sich beruft, eine Verfassung
zu entwerfen von solcher enormer Tragweite? Ich sehe mich vergebens um
in der Geschichte, ich sehe hin auf die alten Gesetzgeber, auf die Gesetzgeber
des Mittelalters, auf die Gesetzgeber der Neuzeit, auf die englische Verfassung,
auf die baicrische Verfassung; nirgends, meine Herren, finde ich ein Beispiel,
das dem gleich käme, welches uns hier geboten ist. Das Einzige, was mög-
lich ist, ist, daß man zwischen den Feinden während der Dauer des
Kriegs paktirt, um den Frieden herbeizuführen. Aber daß friedliche
Mächte mit einander eine Verfassung unter dem Getöse der Waffen ab-
schließen, daß man sich da auf den Mangel an Zeit und auf den Mangel