Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Schlör. 703 
Herren, hat der Herr Abg. Greil der neuen Verfassung gemacht, der schwer 
zu widerlegen ist. Ich will auch darauf verzichten, ihn zu widerlegen. Nur 
glaube ich, nicht alle Consequenzen anerkennen zu dürfen, die an diesen Vor- 
wurf geknüpft worden sind. Der Herr Abg. Greil meint, die 48 baierischen 
Abgeordneten werden unter der großen Zahl von 382 im Norddeutschen 
Reichstage sehr wenig zu bewirken vermögen; denn sie würden ja doch in 
zwei Hälften zu je 24 dort aufmarschiren. Meine Herren, das glaube ich 
nicht. Ich glaube nicht, daß die Abgeordneten zum Deutschen Reichstag 
seiner Zeit gerade nach dieser Proportion sich ansscheiden werden, und zwar 
glaube ich das aus dem Grunde nicht, — ich komme vielleicht später darauf 
zu reden, — weil ich es als das größte Unglück eines Landes ansehe, wenn 
seine Vertretung in zwei gleiche Hälften gespalten ist. Wahr ist, daß die 
Diätenlosigkeit große Bedenken hat, und ich gestehe Ihnen offen, wäre es an 
mir gewesen, sie zu beseitigen, sie würde nicht in der Deutschen Verfassung 
stehen; aber sie stand dort vor unserem Zutritt, und der Herr Abg. Greil 
hat es richtig bezeichnet, wenn er sagt, daß sie eines der wesentlichsten Fun- 
damente dieser Verfassung ist. Aber den Schluß kann ich nicht anerkennen, 
den Herr Abg. Greil aus diesem Umstande gezogen hat. Er hat gesagt, 
ohne sie näher zu bezeichnen, zwei Kategorien der Bevölkerung würden durch 
diesen hohen Cenfus vom Reichstage immer ausgeschlossen sein. Ich könnte 
dem Herrn Redner mit einer Thatsache entgegentreten und ihm beweisen, 
daß mehrere Arbeiter beute schon Mitglicder des Norddeutschen Reichstages 
sind, und wenn das bei 2 oder 3 der Fall ist, so wüßte ich nicht, warum nicht 
ebensogut 20 oder 30 Arbeiter Mitglieder des Reichstages sein könnten. Ich 
kenne die zwei Kategorien nicht, die der Herr Redner als unrertreten be- 
zeichnete. Ich meine, er hat im Sinne „die Arbeiter" und „die Intelligenz“ 
nicht wahr? 
Greil: Nein, den Mittelstand und die Arbeiter. 
v. Schlör: Ja, davon bin ich überrascht. Da kann ich Ihnen sagen, 
der Mittelstand wird in diesem Reichstage vertreten sein in Zukunft, wie 
er bisher vertreten ist. Ich wüßte nicht, welches Hinderniß bestünde, dem 
Mittelstande den Eintritt in den Reichstag unmöglich zu machen. Nicht 
darauf kommt es an, wie viel man gerade dort zu verausgaben hat, wahr- 
haftig nicht; man kann mit geringen Opfern auch die Aufgabe erfüllen, die 
man im Norddeutschen Reichstage zu erfüllen hat. Allein Sie wissen, alle 
Vertretung nach Ständen hat sich überlebt und aus einem sehr einfachen 
Grunde. Es ist nicht möglich, heute bei der vorgeschrittenen Entwicklung 
aller unserer wirthschaftlichen, politischen und socialen Verhältnisse eine solche 
Ausscheidung irgendwie greifbar festzuhalten. Das ist der Grund, warum 
die ständische Verfassung nothwendig zu Grunde gehen mußte, und man hat 
ihr, vielleicht mit einem etwas zu kühnen Griff, die allgemeine Wahl gegen-
	        
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