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Stande der Bildung, auf dem wir stehen, auf dem Stande der Einwirkung der
öffentlichen Meinung auf die Geschicke der Nation, ein Herrscher, ein Despot, hei-
ßen Sie ihn, wie Sie wollen, Macht genug hätte, diese innerste Natur der Deut-
schen Nation mit einem Federstriche oder Schwertstreiche zu vernichten? Ich glaube
es nicht. „Es gibt kein Recht mehr.“ Sie sollen ein Recht schaffen, Sie sollen
die Gesetze mit machen, die die Deutsche Nation sich gibt für die Besorgung
ihrer gemeinschaftlichen Angelegenheiten. Sie sollen, ich gebe ja das zu, auf
einen Theil Ihrer Befugnisse verzichten, nicht zu Gunsten eines Andern, nein,
Sie sollen nur die Art und Weise der Ausübung modifiziren — und zu welchem
Zwecke? Zu dem Zwecke, um das zu erreichen, was Sie für sich allein nun
und nimmermehr erreichen können. Wenn man sagt, Baiern ist souverän,
und Baiern ist groß genug, um eine selbständige Politik zu verfolgen; wir
haben ja Belgien, die Niederlande, die Schweiz, sollen wir das nicht können,
was die können: so muß ich „Nein“ sagen, und zwar aus einem sehr
einfachen Grunde. Es ist wahr, was Herr Dr. Ruland gesagt hat: Die
Deutschen sind ein Volk von Völkern; — aber, meine Herren, erlauben
Sie mir, daß ich ein Beispiel wähle, um Ihnen meine Gedanken über die
Selbständigkeit und Souveränität Baierns, wie Sie dieselbe wünschen, klar
zu machen. Wenn aus einem Stammc, — aus einem Volke — viele Aeste
sich entwickelt haben — die Völker des Herm Dr. Ruland — und wenn
nun der Gärtner für einen dieser Aeste eine so besondere Liebe hat, daß er
ihn eigens pflegen will, was wird er thun? Wird er den Ast vom Stamme
trennen und ihn nebenan in ein wohl hergerichtetes Gartenbeet setzen, um
ihn besonders pflegen zu können' Dann wird der Wind bald die dürren
Blätter und Blüthen von diesem abgetrennten Aste fortjagen, er wird ein
dürres und unnützes Reis sein. Nicht die Macht ist das Entscheidende, nicht
die Bevölkerungszahl ist das Entscheidende. Entscheidend ist, daß die in
Baiern vereinigten Volksstämme zum großen Theil der Deutschen Nation
gehören, und daß sie nur in der Vereinigung mit dieser großen Nation die
Ziele erreichen können, die sie als nothwendig sich gesetzt haben und die sie
erreichen müssen, wenn sie nicht ihre eigene Eristenz aufgeben wollen. Meine
Herren! Die Zeit ist so weit vorgeschritten, daß ich darauf verzichten muß,
alles das Weitere, was der geehrte Herr Vorredner gesagt hat, hier näher
in Betracht zu ziehen, nur einen Punkt muß ich noch hervorheben. Der
geehrte Herr Vorredner hat der baierischen Regierung den Vorwurf gemacht,
daß sie den Art. 19 der Norddeutschen Verfassung modifizirt habe, und er
schließt aus dieser Modifikation, daß die Exekutionsbefugniß des Deutschen
Bundesoberhauptes bis zur Absetzung eines Fürsten gehen könne. Ich hätte
vom Herrn Vorredner erwartet, daß er, ehe er eine solche Kritik aussprach,
sich zweimal die Bestimmung ansah. Weil die ursprüngliche Bestimmung
der Norddeutschen Verfassung eine zu weit gehende Befugniß dem Reichs-
oberhaupte einräumte, hat die Abänderung dahin getrachtet, eine Sicherung
dafür zu schaffen, daß nur der Bundesrath die Exekution beschließen und die
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