Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

710 Baiern. Kammer der Abgeordneten. 
den muß, und wie er auch in Norddeutschland ganz zweifellos überall aus- 
gelegt wird. Ich würde mich schämen, Ihnen in dieser Richtung, wenn ich 
so sagen darf, einen Schwindel vorzumachen, ich würde mich schämen, Ihnen 
gegen meine bessere Ueberzeugung eine Auslegung dieses Artikels deswegen 
aufzudrängen, weil die Annahme der Verträge dadurch etwa plausibler werden 
könnte. Meine Herren! das würde sich an Denjenigen, die mit solchen Grün- 
den haufiren giengen, später sehr schwer rächen. Der Herr Staatsminister 
v. Schlör hat bereits in seiner vortrefflichen Rede in der letzten Sitzung 
darauf aufmerksam gemacht, daß die Auslegung einer Verfassung ein keines- 
wegs so leichtes Stück Arbeit sei, er hat auf den Unterschied aufmerksam 
gemacht, der in dieser Beziehung zwischen unserer Verfassung, welche eine 
so reiche Entwicklung in einer Reihe von Jahren durchgemacht hat, und 
zwischen der Verfassung des Norddeutschen Bundes oder setzt des Deutschen 
Reiches, welche erst seit einer so kurzen Reihe von Jahren in Kraft ist, 
besteht. Wenn man unsere baierische Verfassung nehmen und einem Nord- 
deutschen, der das baierische Verfassungsleben nicht kennt, in die Hand geben 
und ihn veranlassen wollte, etwa aus der Lektüre des Titels VII sich ein 
Bild von den Budgetrechten des Landtags gegenüber der Regierung zu ent- 
werfen, meine Herren, es würde eine Auslegung zu Tage kommen, welche 
sich nicht weit von jener Auslegung unterscheidet, die verschiedene andere 
Herren aus der bloßen Lektüre der Norddeutschen Verfassung uns im Laufe 
der Debatte gegeben haben. Man sagt nun, meine Herren, — und ich 
glaube den Stand der Debatte im gegenwärtigen Augenblicke richtig so prä- 
cisiren zu können, — man sagt: es ist allerdings richtig, der Art. 60 der 
Norddeutschen Bundesverfassung bestimmt, daß die Präsenzstärke des Bundes- 
heeres auf 18 der Berölkerung lediglich bis zum 31. Dezember 1871 fest- 
gesetzt sei, und es ist in demselben Artikel weiter gesagt: Für die spätere 
Zeit wird die Friedenspräsenzstärke des Heeres im Wege der Bundezgesetz- 
gebung bestimmt — aber (das ist der Haupteinwurf, den Diejenigen machen, 
welche eine andere Auslegung dieser Gesetzesbestimmung vertreten als ich) — 
das ist Alles recht schön und gut, aber in dieser Norddeutschen Bundesver- 
fassung oder in dieser Verfassung des Deutschen Reiches steht noch cin anderer 
Arttikel, der Artikel 5, und dieser räumt der Krone Preußen ein Veto ein, 
und wenn dieselbe dieses Veto einlegt, so kommt nicht mur ein Gesetz über 
die Präsenzstärke des Bundesheeres nicht zu Stande, sondern — und das, 
meine Herren, ist der Hauptpunkt — es bleibt beim Alten, die bis zum 
31. Dezember 1871 bestehenden gesetzlichen Einrichtungen bleiben auch fortan 
weiter bestehen. Es ist deshalb nothwendig, da der Art. 5 es ist, um den 
es sich hauptsächlich handelt, daß man sich mit diesem Art. 5 noch etwas 
näher beschäftigt. Ver allem, meine Herren — es ist viellcicht zufällig, aber 
nicht unwesentlich — steht im ganzen Art. 5 das Wort Veto gar nicht, son- 
dern der Art. 5 sagt lediglich, daß bei Gesetzesvorschlägen über das 
Militärwesen und die Kriegsmarine, wenn im Bundesrathe eine Meinungs-
	        
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