Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Stauffenberg. 713 
nisse wenn das Budget 1872 festgestellt und jenes Gesetz über die Friedens- 
präfenzstärke des Heeres berathen werden soll. Ich will, meine Herren, eine 
andere Streitfrage jetzt gar nicht untersuchen, nämlich die Streitfrage, ob 
überhaupt der Art. 5 auf den Art. 60 Auwendung finden kann; ich bin der 
Meinung, daß er überhaupt nicht angewendet werden kann, daß er auf ein 
ganz anderes Verhältniß sich bezieht, nämlich auf die Gesetzgebung über die 
Militäreinrichtungen, zu denen die Frage der Finanzgesetzgebung 
nicht gehört; aber ich nehme an, daß es der Fall sei. Zwei Dinge sind 
nun mäglich, entweder es kommt eine Uebereinstimmung zwischen Reichstag 
und Bundesrath zu Stande, und wir bekommen vom 1. Jannar 1872 an 
ein Gesetz, welches die Friedenspräsenzstärke auf eine weitere Anzahl von 
Jahren festsetzt; oder es ist auch der andere Fall möglich: es kommt ein 
derartiges Gesetz nicht zu Stande, und zwar kommt es nicht zu Stande 
deswegen, weil die preußische Regierung — ich will das einmal annehmen 
— ihr Veto eingelegt hat (ich glaube nicht, daß sie rechtlich dazu befugt ist, 
aber ich will einmal den Fall annehmen) — Nun mache ich ver Allem auf 
Etwas aufmerksam: es wird dieses Einlegen des Veto gar nicht in die 
Aeußerlichkeit treten; wir werden nur erfahren, daß der Bundesrath seine 
Zustimmung dazu nicht gegeben habe; über das Stimmenverhältniß 
im Bundesrathe werden Sie zunächst nach außen gar nichts erfahren. 
Das Rechtsverhältniß, welches nach außen hervortritt, wird einfach das sein: 
cl ist eine Uebereinstimmung zwischen den gesetzgebenden Faktoren, dem Reichs- 
tage und dem Bundesrathe, nicht zu erzielen gewesen, also ein Gesetz nicht 
zu Stande gekommen. Nun, meine Herren, diese Möglichkeit hat man in 
der Norddeutschen Bundesverfassung seiner Zeit vorausgesehen und hat auch 
eine Bestimmung getroffen, welche die Regierung wenigstens in einer Rich- 
tung sicher stellen soll. Ich komme sxäter darauf zurück. Die preußische 
Regierung kann also vielleicht durch Einlegung ihres Veto das Gesetz über 
die Friedenspräsenzstärke des Heeres verhindern, aber sie kann mit ihrem 
Veto die positive Wirkung nicht hervorbringen, daß ein Gesetz, welches 
an einem bestimmten gesetzlichen Termin aufgehört hat, weiter 
gelten soll. Dann, meine Herren, nehmen Sie — der Punkt ist zu wichtig, 
und Sie werden daher verzeihen, wenn ich vielleicht etwas zu breit bin — 
nehmen Sie jedes Gesetz, in welchem steht: das Gesetz soll blos bis zum so 
und sovielten dieses Jahres gelten, so tritt eben das Gesetz am so und so 
rielten des Jahres außer Wirksamkeit und wenn es weiter gelten soll, so kann 
nicht die Regierung allein es weiter geltend machen, sondern es bedarf des 
übereinstimmenden Votums aller gesetzgebenden Faktoren. Das, meine Herren, 
scheint mir so sonnenklar, daß ich eigentlich nicht begreife, wie man über 
diesen Punkt bei einigem Nachdenken zweifelhaft sein kann. Ich werde 
gerade auf ein uns nahe liegendes Beispiel aufmerksam gemacht, welches mir 
entgangen ist, auf unser provisorisches Taxgesetz, welches auch nur bis 
zu einem gewissen Zeitpunkte Geltung hat. Es wäre vielleicht dem Herrn
	        
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