720 Baiern. Kammer der Abgtordneten.
können, wenigstens über diesen kritischen Zeitpunkt hinaus verzögern. Man
hat, meine Herren, im Laufe der Debatte so viel von der Selbstständig-
keit Baierns, von der Mediatisirung Baierns, von der unbeschränkt auf-
recht zu erhaltenden Soureränität Baierns gesprochen, man hat diese Selbst-
ständigkeit mehrfach als einen absoluten Begriff aufgefaßt, der gar keine
Minderung ertrüge, und doch anderscits wieder von einer erhöhten Selbst-
ständigkeit gesprochen, welche für Baiern aus diesem Kriege hätte hervorgehen
sollen. Mögen diese Widersprüche Diejenigen verantworten, die sie gemacht
haben, aber das scheint mir denn doch ganz unzweifelhaft zu sein, daß diese
Redensarten von unserer bedrohten Selbstständigkeit nur dann aufrecht erhalten
werden können, wenn sie ganz im Allgemeinen gemacht werden, und wenn
man die Bundesverträge und die Ansnahmsbestimmungen, die sie enthalten,
gar nicht ansieht. Es ist schon mehrfach auf die Ausführungen des Herrn
Referenten der Reichsrathskammer Bezug genommen worden, und
unser Herr Referent selbst hat dies mit Vorliebe gethan; ich mochte
auch in dieser Frage auf sie zurückkommen. Der Herr Referent der
Reichsrathekammer hat nie ein wahreres Wort gesprochen, als wenn er
sagte: „So lange Baiern besteht, gehörte es jeder Zeit — ich rede hier nicht
von den Zeiten der Agilolfinger, ich sage dies, damit ich nicht darüber eine
Neprimande bekomme — einer größeren staatlichen Verbindung in der einen
oder anderen Weise an und mußte sich der Unterordnung fügen, die mit
solcher Angehörigkeit nothwendig verbunden ist. Insbesondere auch zur Zeit
des Deutschen Bundes, um nur auf die letzte Geschichteperiode zurückzugreifen,
bestand ein solches Unterordnungsverhältniß. Auch damals war Baiem zur
unbedingten Heerfolge in jedem Bundeskriege verpflichtet, auch damals war
das baierische Heer ein Bestandtheil des Bundesheeres und dem Oberbefehle
des Bundesfeldherrn im Rriege unterstellt. Auch damals war die Präsenz-
stärle des baicrischen Kontingents durch Bundeogesetz geregelt u. s. w.“ Der
Hauptunterschied war nur der, daß ein großer Theil dieser Bestimmungen,
wie der Herr Dr. Völk sehr richtig ausgeführt hat, früher auf dem Papier
stehen geblieben und gar nicht ausgeführt worden ist, und zwar hauptsächlich
durch die Renitenz der Einzelstaaten — ob zum Heile Deutschlands, überlasse
ich Ihnen zu entscheiden. — Der Herr Abgeordnete Dr. Ruland war es
hauptsächlich, der diesen Begriff „Selbstständigkeit“ nach allen Richtungen
hin beleuchtet hat, aber auch er hat sich nur in Allgemeinheiten bewegt. Er
und andere Redner haben mehrfach gefragt: „Ja, was bleibt denn dem
baierischen Landtage noch übrig, wenn wir diese Verträge annehmen? Der
baierische Landtag wird nur zu einer Maschine herabgedrückt, um die Steuem,
die nothwendig sind, aufzubringen; in eigener Kompetenz wird er nur die
untergeordnetsten Dinge zu entscheiden haben, er wird zu einem Provinzial=
landtage herabgedrückt, ungefähr so wie unsere Landräthe.“ — Wenn das
vielleicht auch nicht der Womlaut ist, so ist es doch der Sinn der Aeußerun-
gen. Meine Herren! Betrachten Sie einmal den Artikel 4 der Bundes-