Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Stauffenberg. 723 
desverfassung alle und jede Selbständigkeit entzogen sein solle, daß wir#zur 
untergeordneten Rolle herabgedrückt sein werden, ist vollständig unrichtig, im 
Gegentheile, wenn ich Ihnen meine wahre Meinung sagen darf, ich glaube, 
daß der Schwerpunkt der Entwicklung für uns zunächst nicht im Norddeut- 
schen Reichstage, sondern im baierischen Landtage liegen wird. Da, im baie- 
rischen Landtage werden wir eine Reihe von großen Fragen auszutragen 
haben, die durchaus nicht in die Kompetenz der Norddeutschen Bundesver- 
fassung fallen. Damit, meine Herren, erledigen sich auch alle jene Redens- 
arten, welche man aus einem Vergleiche der französischen Centralisation mit 
dem neuen deutschen Staatswesen herleitet. Wer, meine Herren, in Deutsch- 
land will denn um Gotteswillen die französische Centralisation, die französische 
Centralisation, welche sich hauptsächlich darin ausspricht, daß das selbständige 
Gemeindewesen vollständig unterdrückt ist, daß die Initiative der einzelnen 
Gemeinden vollständig auf Null herabgedrückt ist: wir sehen jetzt die trauri- 
gen Folgen dieses Systems und haben sie noch stärker im ersten Verlaufe des 
Krieges gesehen — wer will denn das in Deutschland? Wo steht in der 
ganzen Norddeutschen Bundesverfassung, in der ganzen Verfassung des 
Deutschen Reiches auch nur ein Sterbenswörtlein, welches auf jene franzöfische 
Centralisation im Entferntesten hindentet, ein Sterbenswörtlein, welches uns 
Zuständen entgegenführte, aus deuen wir in jene französische Centralisation 
hineingerathen könnten? Das ganze Gemeindewesen — gerade das ist der 
Haupt= und Kerupumkt dieser Frage der Centralisation und Nichtcentralisation 
— das ganze Gemeindewesen ist uns ja in Baiern zur selbständigen Ord- 
nung überlassen worden, und an uns wird es liegen, ob wir das nach cen- 
tralistischen oder anderen gesunderen Richtungen ausbilden; aber die Nord- 
deutsche, die Verfassung des Dentschen Reiches hat darin gar nichts geändert. 
Nun, meine Herren, man sagt: das ist Alles recht, so wie die Dinge liegen, 
ist uns der Vertrag am Ende acceptabel, aber im Wertrage findet sich eine 
Bestimmung, die macht Alles illusorisch, und das ist der berühmte, berüch- 
tigte, rielbesprochene und vielkommentirte, nach allen Richtungen viel gedeu- 
tete und ausgelegte Artikel 78. Man sagt nun, der Artikel 78 ist gewis- 
sermaßen die geheimnißvolle Maschine, mit welcher der Schlußftein des gan- 
zen Gewölbes herausgenommen und das ganze Gebäude zum Einfallen ge- 
bracht werden kann. Mir scheint immer ein gewisser Widerspruch darin zu 
liegen, wenn man auf der einen Seite betont, daß diese Verfassung deß- 
wegen schon schlecht sein müsse, weil sie ohne die Zustimmung des Volkes 
zu Stande gekommen, und daß man einerseits die ercessive Furcht vor dem 
Artikel 78 hat. Worin besteht die Furcht vor dem Artikel 787 Sie besteht 
eben darin, daß das im Deutschen Parlamente vertretene Volk an der Bundes- 
verfassung Veränderungen vornehmen werde, welche uns nicht gefallen. Meine 
Herren, denselben Einwand hätte man einer constituirenden Versammlung 
entgegenhalten können. Ich nach meinen Grundsätzen hätte es allerdings für 
viel richtiger und besser gehalten, man hätte den ganzen Verfassungsentwurf 
466
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.