742 Baiern. Kammer der Abgcordneten.
dere; der Herr Referent hatte damals mit manchen seiner Ausführungen
ganz gewiß mehr recht als jetzt; damals war der ganze Nordbund gährend,
die Unzufriedeuheit in den annectirten Provinzen eine große; der Graf
Münster konnte sie im Jahre 1868 noch als eine wachsende bezeichnen, — der
Graf Münster, der zu den treuesten Anhängerm der preußischen Regierung
in Hamnover gehörte! Jetzt haben sich die Verhältnisse im Verlaufe weni-
ger Jahre fundamental geändert, und die letzten Wahlen in Hannover z. BV.
haben, wenn ich recht unterrichtet bin, nur einen oder höchstens zwei Anhän-
ger der partikularistischen Richtung in die Volksvertretung gebracht, in Hessen,
in Nassau gar keinen. Damals, meine Herren, war eine solche Politik wenn
nicht faktisch so doch rechtlich möglich, damals war noch Baden da, es war
noch Hessen da, es war noch Würtemberg da. Jetzt ist Baden fort, Hessen
ist fort, Würtemberg ist fort — wir stehen allein. Damals haben alle
Mächte, Oesterreich veran, die innere Entwickelung der Deutschen Zustände
mit den mißgünstigsten Augen angesehen. Das ist jetzt ganz anders. Alle
Mächte, Oesterreich voran, England roran, erkennen rückhaltlos den Gang
der Ereignisse an, wie er die Deutsche Einheit zu Wege gebracht hat. Wir
haben von jener Seite keinen Einspruch und, merken Sie wohl, auch keine
Hülfe zu erwarten, wie man sie damals erwarten konnte. Meine Herren!
Der Pessimismus, der mancher Orten spukt, der Pessimismus, dem man
mehrfach in Privatgesprächen begegnet, der Pessimismus, mit dem man sagt:
„Wenn einmal die Geschichte durchgehen soll, wenn wir einmal in den Bund
eintreten sollen, dann wollen wir lieber gleich ganz annectirt sein, dann
wollen wir lieber unsere Sondereristenz gleich ganz aufgeben", dieser Pessi-
mismus, — er existirt, das wird man nicht läugnen — dieser Pessimismus ist
höchst gefährlich. Der Einzelne mag sich ihm an und für sich hingeben,
wenn auf seine Stimme nichts ankommt; aber, meine Herren, es ist, glaube
ich, keiner Partei erlaubt, diesen Pessimismus zu treiben, weil sie dadurch
das Vaterland schädigt. Es war Cato erlaubt, sich selbst umzubringen, aber
es war ihm nicht erlaubt, die römische Republik zu morden. Der jetzige
Zustand bei uns — es wird Niemand in diesem Hause sein, der das zu
widersprechen wagt — ist ein absolut unerträglicher; die Parteiverhältnisse
haben sich in einer Weise ausgebildet, daß auf lange — ich weiß nicht welche
Zustände des Staates dadurch nicht geschädigt würden; es ist ein absolut
unerträglicher Zustand, daß alle Fragen, gar alle Fragen, welche in dieses
Haus kommen, nach der nationalen Frage gemessen werden. Es ist ein Zu-
stand, der zu den merkwürdigsten Beschlüssen geführt hat, ein Zustand, der
für die innere Entwicklung nicht nur die höchste Gefahr bringt, sondem sie
unmääglich macht, und welcher auch — ich sage das ohne Rücksicht auf meinen
Parteistandpunkt, — der wahren Freiheit im höchsten Grade schädlich ist.
Wir haben uns daran gewöhnt, — es ist das eine Wahrheit, die man nicht
verschweigen kann — daß wir in dieser Erbitterung des Partei-Kampfes
Alles blind verwerfen, was von der andern Seite kommt, weil es von dieser