Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

758 Balern. Kammer der Abgeordneten. 
Herren, dem ist ja durchaus nicht so; die eine Hälfte des Landes, die Sie 
zu ihren Vertretern gewählt, ist von vormherein für die Verträge, aber auch 
das Volk, das hinter uns steht, ist — ich wage es heute schen zu sagen — 
nur zum allerkleinsten Theil hinter denjenigen Herren, die den Verträgen ein 
„Nein“ entgegensetzen, (Brarol) und jeder Tag wird die Anhänger derselben 
mindern, jeder Tag, der mehr ins Land geht, wird eine Stimmung hervor- 
rufen, so daß wir in wenigen Tagen schon werden sagen müssen, das ganze 
Land ist für die Annahme der Verträge. Meine Herren, ich stebe in einer 
ziemlich ausgebreiteten geschäftlichen Verbindung mit der Provinz Schwaben. 
Nicht eine einzige Zuschrift im entgegengesetzten Sinne ist mir zuge- 
kommen, aber eine Unmasse von Briefen und Telegrammen, die uns Ver- 
treter Schwabens alle dringendst bitten, „um des Himmelswillen“ bitten, 
diesen Verträgen zuzustimmen. Aehnliche Briefe kenne ich aus Oberbaiern, 
aus der Oberpfalz, aus Oberfranken und Unterfranken — aus Niederbaiern, 
das gestehe ich, habe ich noch nichts gehört —. (Heiterkeit.) Nun, meine Herren, 
jede gesunde Partei muß doch wünschen, daß sie gleichsam wie ein Ferment 
im Volke wirkt, daß sie es allmählig mit ihren Anschauungen, mit ihren 
Ideen durchdringt. Ja, meine Herren, würden wir das Volk mit der An- 
schammg, daß wir die Verträge verwerfen müßten, durchdringen können? O 
nein, meine Herren! wir würden immer mehr in einen Winkel zurückgedrängt, 
und ans unserer Partei würde eine erbärmliche Sekte werden. Meine Herren, 
ich glaube, es ist überhaupt in der Parteientzweiung weit genug schon gekommen. 
Das Volk fehnt sich wirklich nicht nur nach dem äußern, es sehnt sich auch nach 
dem innern Frieden. Meine Herren, die Parteien können sich gegenwärtig 
nicht entbehren, und wie bei großen politischen Ereignissen Amnestien von 
oben eintreten, so müssen auch zeitweise Amnestien von dem Volke selbst ein- 
treten; nachdem diese Frage, die alles Parteileben vergiftet, worin sich alle 
einzelnen Fragen zu Parteifragen zuspitzen, aus dem Wege geränmt ist, 
müssen wir uns wieder die Hände reichen zu gemeinsamer Arbeit in der 
Gemeinde, in der Provinz, im Lande. Sehen Sie doch die Unfruchtbarkeit 
imseres Beisammenseins im Landtage, weil sich die Kräfte an sich selbst zer- 
reiben. (Allgemeines Braro.) Kann das fortdauern? darf das fortdauern, 
darf man dazu mitwirken, diesen Zustand noch zu steigern? Bedenken Sie 
doch, wenn eine Neuwahl nothwendig würde, wie würde sich da erst der 
Parteikampf steigern und rerbittern! Meine Herren, wir sind aber nicht blos 
nach innen isolirt, wir sind es auch nach außen. Wissen Sie, was der 
Erfolg ist, wenn in der entscheidenden Stunde aus diesem Hause das „Nein“ 
ertönt? In dem Angenblicke ist Baiern das Ausland ven Deutsch- 
land; das Deutsche Reich liegt für uns im Auslande, und wir sind für das- 
selbe im Anslande! Das wäre doch ein unerhörter und unerträglicher Zustand, 
meine Herren. Wir kommen mit diesem entscheidenden „Nein“ genau in 
dieselbe Lage, wie wenn man ein lebendiges Glied von einem lchendigen 
Leibe abschnürt; dieselben Erfolge, die hier im Organismus eintreten, müß-
	        
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