Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

770 Baiern. Kammer der Abaeordneten. 
hat, daß nämlich die Bedenken, welche er selbst früher hegte, als nicht be- 
gründet sich erwiesen haben, und daß die gegentheilige Interpretation jetzt 
als die richtige auch von ihm anerkannt werde. Nun hat allerdings im 
Laufe der Diskussion der eine und andere Redner gesagt, es tröste sie nicht, 
wenn auch die ursprünglich vermuthete Gefährlichkeit dieser Artikel nicht vor- 
handen und wenn in der Verfassung noch so gute Vorsorge getroffen sei 
gegen etwaige Uebergriffe der Regierung des Leutschen Reiches; denn die 
preußische Regierung bekümmere sich sehr wenig darum, ob sie durch die 
Verfassung berechtigt sei oder nicht, Gelder für Militärzwecke zu nehmen, 
sie nehme das Geld eben. Ja, meine Herren, wenn man die Sache auf 
diesen Boden hinüberspielt, so befindet man sich nicht mehr in einem Sneite 
über die Interpretation der Bundesverfassung, sondern man steht auf dem 
Standpunkte, den der Herr Abgeordnete Bayer eingenommen hat. Es 
ist möglich, meine Herren, daß die preußische Regierung eines schonen 
Tages sich an die Verfassung nicht halt; ich bin ehrlich genug, das Ge- 
ständniß abzulegen, daß ich an diese Möglichkeit glaube; aber es wird 
sehr schwer eine Verfassung zu entdecken sein, die eine solche Möglichkeit 
ausschließt. Meine Herren! Wer steht Ihnen denn gut, daß nicht eines 
Tages das Dach dieser Hauses einfällt? Und das wäre nicht einmal eine 
Verfassungsverletzung; denn in umserer Verfassung ist das Ausbleiben dieses 
Ereignisses nicht anedrücklich verheißen! Möglich sind deramige Dinge. 
Wenn man Etwas thun wollte, um der Regierung die Möglichkeit einer 
Verfassungsrerletzung zu erschweren, so käme man zunächst darauf zurück, daß 
man dem Reichstage das Jus corporis ci armorum verschaffen und die 
Aufstellung cines Parlamentheeres gestatten müßte. Aber selbst in diesem 
Falle käme es bei einem solchen Konflikte noch darauf an, welches von den 
beiden sich gegenüberstehenden Heeren Sieger bleibt; und auch hiefür wüßte ich 
eine verfassungsmäßige Garantie nicht zu bicten. Nachdem man mit den Be- 
denken gegen die Artikel 5 und 62 den Rückzug angetreten hatte, kam im 
Laufe der Diskussion eine ganze Masse von Gründen und Bedenken zweiter 
Klasse zum Vorscheine. Der Herr Referent hat unter Anderem uns einen 
aus Hamburg an ihn eingetroffenen Brief vorgelesen, wonach verschiedene 
anonyme Einwohner von Hamburg, Mecklenburg, Hannover u. s. w. auf dem 
Standpunkte, den die Mehrheit des Ausschusses einnimmt, stehen sollen. 
Meine Herren! Mich hat es eigentlich gewundert, daß der Herr Referent, 
wenn er auf Briefe ähnlichen Inhaltes sich berufen wollte, nicht lieber Briefe 
sich verschafft hat, die unterschrieben sind. Ich bin z. B. fest überzeugt, daß 
die Herren Bebel und Liebfnecht, denen allerdings die Korrespondenz gegen- 
wärtig etwas erschwert sein dürfte, gerne bereit gewesen wären, dasselbe zu 
schreiben, wao in dem Hamburger anonymen Briefe steht. Ich bin ferner 
überzeugt, daß auch Herr Moritz Mohl in Stuttgart mit großtem Vergnügen 
sich herbeigelassen haben würde, einen Buef gleichen Inhaltes an Herr Dr. 
Jorg zu schicken, wenn er es nicht schon gethan hat. Ich, meine Herren, mochte
	        
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