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gleich in dem Einheitsstaate auf; das koste weniger. Meine Herren! Mir
hat der Herr Abgeordnete Wiesnet gestern den Eindruck gemacht, daß er
aus voller Ueberzeugung und aus schmerzbewegtem Herzen heraus seinen Ge-
fühlen Ausdruck gab. Aber, nmeine Herren, er hat mir auch den Eindruck
gemacht, als wenn der Standpunkt, den er einnahm, weit eber der Stand-
runkt der Verzweiflung als ein baierisch-patriotischer sei; denn vom Stand-
punkt des baierischen Patriotismus aus wird man nach meinem Gefühle
niemals zu der Erklärung kommen können: „Weil nicht Alles so blei-
ben kann, wie ich es wünsche, so soll lieber Alles zu Grunde
gehen!“ (Sehr gut.) Diesen Standpunkt können und diesen Standpunkt
dürfen wir nicht einnehmen! Der Herr Abgeordnete Kolb und mehrere
Andere der Herren Gegner vermissen in der neuen Deutschen Bundesrer-
fassung die Elemente der Freiheit. Der Herr Abgeordnete Kolb sagt: „Die
Freiheit hat keine Gewähr in diesem Verfassungswerke. Wir haben so lange
um Freiheit gekämpft, und jetzt wird ein Zustand geschaffen, der es neuer-
dings der ungewissen Zukunft überläßt, ob uns die Freiheit in dem erwünsch-
ten Maße wird gewährt werden!“ Meine Herren! Ich gebe es zu, es läßt
die uns vorlicgende Verfassung, es läßt der Zustand, wie er in dem bisheri-
gen Norddeutschen Bunde war, in freiheitlicher Beziehung Manches zu wün-
schen übrig. Wenn der Herr Abgeordnete Kolb in der Lage wäre, eine
Verfassung des Deutschen Reiches mir vorzulegen, die — ebenso wie die hier
vorliegende — eine bestimmte Aussicht auf praktische Wirksamkeit gäbe, und
wenn ich fände, daß die Verfassung die er mir vorlegt, besser als die hier
vorliegende sei, so würde ich die von ihm stammende Verfassung annehmen.
Aber, meine Herren, solange die Sache so liegt, wie sie heute liegt, daß
nämlich Herr Kolb uns nur sagen kann: „Wählt zwischen dem, was Guch
geboten wird, und zwischen Nichts!“" solange, meine Herren, nehme ich das,
was zu haben ist; denn das Nichts ist mir zu wenig. Man hat sich auch
bemüht, darüber klar zu werden, was wohl der verstorbene Dichter Uhland
thun würde, wenn er heute Mitglied der baierischen Kammer wäre. Meine
Herren! Zu einer definitiven Entscheidung dieses Streites werden wir wahr-
scheinlich ebensowenig kommen, als die Herren Gervinus und Braun zur
Entscheidung des in der „Allgemeinen Zeitung“ entstandenen Streites kommen
werden, was Dahlmann und Grimm thun würden, wenn sie heute noch am
Leben wären. An die Geisterklepferei glaube ich nicht, und deshalb weiß
ich absolut keinen Weg, auf welchem man die Meinungsäußerung der genann-
ten verstorbenen Herren erholen könnte. Wenn ich allerdings eine Wahr-
scheinlichkeitsberechnung anstelle, und wenn ich mich umsehe, welche von den
noch lebenden politischen Gesinnungsgenossen des Herrn Kolb und Uhland
aus dem Jahre 1848 und 1849 auf unserer, und melche auf der entgegen-
gesetzten Seite stehen, so finde ich, daß die Mebrzahl von ihnen auf den
praktischen Boden sich stellt und sagt: „Nehmen wir das, was wir haben
können, und wollen wir nicht ein neues Vierteljahrhundert mit der Jagd nach