Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

780 Balern. Kammer der Abgeordneten. 
festen Boden, den in solchen Dingen der Politiker immer verlangen muß, 
nicht gefunden. Aber, meine Herren, was ich gefagt habe, — prophezeien 
zu wollen in der Sache ist mir nicht eingefallen, und es wäre mir auch 
gar nicht möglich gewesen — was ich gesagt habe, ist keine Prophezeiung 
gewesen, sondern eine politische Abstraktion. Es wird den Herren obne 
Zweifel der große Unterschied sogleich bemerkbar werden. Ich habe diese 
Aeußerung mir abstrahirt aus langjährigen Studien gerade über das Ver- 
bältniß Preußens und Rußlands. Um Sie, meine Herren, in dieser Be- 
ziehung nicht aufzuhalten, möchte ich blos noch Eines sagen. Diese meine 
Studien habe ich angefangen zur Zeit des orientalischen Krieges. Und da- 
mals, um Ihnen gleich einen recht greifbaren Merkstein zu geben in Be- 
ziehung auf diese Anschauung, damals ist bekanntlich im Preußischen Land- 
tage eine große Verhandlung vor sich gegangen über das Verhältniß Preußens 
zu Rußland einerseite, zu den Westmächten andererseits. Damals aber, meine 
Herren, hat der Führer einer großen Partei gesagt: Jede Entgegenstellung 
Preußens gegen Rußland wäre ein „Vatermord"“. Meine Herren! Diese 
Anschauung von der Sache ist nicht abgeschwächt worden durch den Lauf der 
Jahre, sie ist am allerwenigsten abgeschwächt worden durch die Ereignisse 
des vorigen Jahres und des jetzt noch fortdauernden Krieges. Sehen Sie, 
meine Herren, das macht mich besorgt, nicht eine unbestimmte Vermuthung, 
sondern eine genaue politische Kenntniß von dieser Sache. Und ich sage 
Ihnen, meine Herren, die Partei, in deren Namen der genannte Führer da- 
mals gesprochen hat, ist nicht verschwunden, sie ist nicht kleiner geworden, 
sie ist größer geworden, ich nenne sie die herrschende in Preußen?). 
Kriegsminister Freiherr v. Prankh'’'): Meine Herren! Bevor 
ich auf einige Punkte der Verträge und ihre Beurtheilung übergehe, ge- 
statten Sie mir einen kurzen geschichtlichen Rückblick auf den Gang der Ver- 
handlungen und zwar mit Bezugnahme auf das Referat Ihres sehr verehrten 
Herrn Majoritätsreferenten. Ich will dem Herrn Referenten von 
meiner Seite aus darüber Aufklärung geben, wie die Staatsregierung dazu 
gekommen ist, in ihren politischen Handlungen zweimal eine Wandlung durch- 
zumachen. Wir sind in den Krieg von 1870 eingetreten, weil wir es für 
eine Ehrensache gehalten haben, weil wir es als eine Pflichttreue in Folge 
der Verträge gehalten haben, und weil wir glaubten, daß es in unserem 
Interesse gelegen sei. Die Entbüllungen, die seit jener Zeit stattgefunden, 
haben die Richtigkeit unserer Politik dargethan. Wären wir nicht in den 
Krieg eingetreten, so würden wir wahrscheinlich heute schon nicht mehr exi- 
stiren. Unser Eintritt in den Krieg und der der audern Südstaaten hat für 
diesen Krieg, wenn ich mich so ausdrücken darf, die politische und militärische 
*) Celgt nun die Rede von Karl Schmidt, s. a. a. O. 339 r., Fockerer S. 346, 
Burger S. 319 I., Mahr S. 349 r. 
*“) St. B. S 353 l.
	        
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