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gierung gegenübersteben, die nicht vom Anfang bis zum Ende dasselbe Wort
geführt hat; daß die Empfindungen, mit denen Sie an die Sache gehen, in
einem solchen Falle weniger günstig für die Sache sind, als wenn die Re-
gienung von Aufang bis zum Ende nur einerlei Rede geführt hätte, und
deshalb bitte ich Sie, mir zu gestatten, daß auch ich etwas näher auf die
Entwicklung der Verhältnisse eingehe. Ich kann nun nicht zugestehen, meine
Herren, daß es gerecht ist, der Regierung einen Wechsel in den Prinzipien
vorzuwerfen. Wann, meine Herren, wäre ein solcher Vorwurf gerechtfertigt?
Wann kann man daron sprechen, daß Jemand seinen politischen Standpunkt
gegen einen andern vertauscht hat? Doch nicht dann schon, wenn unter Fest-
haltung des leitenden Grundgedankens mit Rücksicht auf eingetretene faktische
Aenderungen in der Sachlage und Angesichts der Unmöglichkeit in allem
Einzelnen das bisber als wünschenswerth Bezeichnete zu erreichen, in Ein-
zelnheiten ein Nachgeben erfolgt? Meine Herren, ich könnte sogar sagen, daß
unter Umständen in der Politik ein Wechsel des Prinzips nicht allein ent-
schuldigt sondern nothwendig ist, und ich habe hiefür einen Zeugen in dieser
Versammlung, von dem ich nur mit der größten Anerkennung bisher habe
sprechen hören. Der Herr Abg. Dr. Edel hat Ihnen ein Beispiel vorge-
führt, daß es unter Umständen ganz absolut nothwendig und unrermeidlich
sei, den einmal lieb gewonnenen und lange festgehaltenen Standpunkt auf-
zugeben. Aber, meine Herren, ich spreche nicht daron und nehme nicht das
Recht für uns in Anspruch in ähnlicher Weise zu sagen: die Verhältnisse
haben sich so entwickelt, daß wir uns überzeugt haben, wir könnten an
unserem früheren Standpunkte nicht mehr festhalten und müßten ihn darum
aufgeben. Nein, meine Herren, halten Sie uns beim Wort mit dem Prinzip,
das wir aufgestellt haben. Wenn Sie uns aber gerecht beurtheilen wollen,
so muß wenigstens noch ein viertes Stadium in Betracht gezogen werden
und das ist die Zeit der Thronrede, die Zeit der Adreßdebatte. Wenn Sie
auch jene Vorgänge in Betracht ziehen, so müssen Sie uns zugeben, das
Prinzip, welches die Regierung aufgestellt hat, war kein anderes, als
erstens das, daß auch sie eine nationale Einigung in einem Verfassungs-
bündniß nicht ablehnt, daß sie unter Bedingungen ein solches Bündniß sogar
anstrebt, daß sie aber zweitens dieses Bündniß nur unter der Voraussetzung
der Wahrung der Selbstständigkeit des Landes anstreben zu dürfen glaubt.
Daran, meine Herren, müssen wir festgehalten haben, wenn wir ohne Vor-
wurf sein wollen; Einzelnheiten, bei denen ein Mehr oder Weniger möglich,
können Sie nicht in die Wagschale legen. Eines noch, meine Herren! Wenn wir
von der Wahmmg der Selbstständigkeit des Landes gesprochen haben, so kann das
offenbar nicht heißen, daß überhaupt aus den Hoheitsrechten des Landes gar
nichts abgetreten werden dürfte, oder etwa nur so viel als zur Herstellung
einer Scheinexistenz des Bundes tauglich wäre. Ich kann deshalb mit meinem
sehr verehrten Herrn Landsmann Ruland gar nicht rechten, der sein „Wir
können nicht“ oder (wie wir es sonst genannt zu hören gewohnt sind) sein
onon possumus“ entgegensetzt einem jeden Vertrag, wodurch im Min-