810 Baiern. Kammer der Abgcordneten.
wir hätten zu wenig für das föderative Prinzip und für die Selbständigkeit
Baierns erreicht! Ich glaube, die Wabrheit liegt in der Mitte: die Anfech-
tung der Verträge von beiden Seiten ist für mich ein triftiger Beruhigungs-
zrund, ist für mich ein Grund mehr für die Ansicht, daß das, was der Herr
Referent ron einer Mediatisirung Baierns gesprochen hat, lediglich ein
Ausfluß einer löchst pessimistischen Auffassung ist. Gesetzt aber, meine
Herren, wir hätten ung bei der Frage, ob und wie viel an die Gesammtheit
abgetreten werden müsse und durch welche Bestimmungen wir uns bezüglich
der Selbstständigkeit für bernhigt halten dörfen, von der nationalen Idee
ungebührlich weit bestimmen lassen: dann, meine Herren, glaube ich, ist uns
das begegnet, woron Niemand in diesem Hause und außerhalb desselben voll-
ständig frei geblieben ist. Selbst der Herr Referent hat sich daron nicht
freigehalten; nicht sowohl der Inhalt des Programmes, das im Sepxtember
von ihm unterzeichnet wurde, und das den immerhin werthvollen Satz ent-
hält, „es sei eine nationale Einigung wünschenswerth“, als vielmehr die That-
sache an sich, daß man sich zur Besprechung der Frage versammelt hat, die
Thatsache schon, daß man ein solches Programm aufstellen zu müssen glaubte,
ist meines Erachtens ein überzeugender Beleg daf##r, daß selbst diese Herren
von dem nationalen Gedanken nicht unbeherrscht geblieben sind. Diese That-
sache gewinnt an Bedeutung, wenn ich auf die Aeußerung des Herrn Re-
ferenten hinweise, in welcher er von der Gefährlichkeit eines Bundes der
kleinen Staaten mit einer einzigen größeren Macht spricht. Was uns geschah
in einem solchen Falle, das ist, glaube ich, dem Vaterlande zum Heile ge-
schehen, es ist dadurch der rechte Augenblick zur Vornahme dessen wahrge-
nommen worden, was uns die nationale Bewegung im Verlaufe der Dinge
wahrscheinlich, ja gewiß unter vicl ungünstigeren Bedingungen zu thun in
Bälde gezwungen haben würde. Würden wir uns nicht in dem Maße von
dem nationalen Gedanken haben leiten lassen, — die baierische Geschichte würde
bald von einer versäumten Gelegenheit mehr Akt genommen haben. Wir
waren im Rechte, wenn wir das bis dahin vielleicht gerechtfertigte Verfahren
der Großdeutschen nicht ferner fortgesetzt haben. Auch die Großdeutschen haben
eine deutsche Einigung gewollt, aber nicht ohne Oesterreich. Die Ereignisse
haben das unmöglich gemacht. Jetzt wollen wir nicht wieder sagen: wir
wollen eine deutsche Einigung, aber nicht so, wie sie uns jetzt geboten wird.
Denn bald wird sie uns nicht mehr unter diesen Bedingungen geboten werden.
Wir sind, meine Herren, — wir, die wir von dem nationalen Gedanken beein-
flußt waren, von dem betroffen worden, wovon selbst Diejenigen nicht frei
geblieben sind, welche gegen die Verträge stimmen zu müssen glauben. Denn,
meine Herren, es ist eine auffallende Thatsache, daß Niemand es über's Herz
bringt zu sagen, er wolle die deutsche Einigung nicht. Gesetzt aber, es wäre
immer noch etwas unerklärlich in unserer Haltung —: Ist es wirklich so schwer,
das richtige Motiv zu sinden? Ich sollte meinen, Alles in Allem betrachtet
können Sie höchstens sagen, daß die Regierung noch im September die wahre