Lutz. 811
Sachlage nicht durchschaut hat, daß sie noch im September der Meinung
war, die auch ihr als wünschenswerth sich darstellende GEinigung sei noch
unter anderen Bedingungen zu erreichen, während sie nach wenigen Wochen
zur Ucberzeugung gebracht wurde, daß das nicht der Fall sei. Wenn dem
mn so ist, was folgt daraus? Doch nichts anderes, als daß wir uns höchstens
zu lange über das, was möglich ist, geirrt haben! Es folgt aber nicht, daß
wir ron nun an berechtigt gewesen wären anders zu handeln, als die Zeit-
rerhälmisse uns zur Pflicht machen. Wenn wir zu der Ueberzeugung gelangt
find, daß die deutsche Einigung unter keinen anderen Bedingungen als unter
den jetzt vorliegenden zu erreichen sei, und — daß die deutsche Einigung uns
unentbehrlich sei: mußten wir auch die Verträge abschließen. Dagegen hätten
wir uns so wenig wie Sie mit der Ausflucht retten können, daß wir bis
vor Kurzem der Meinung waren, die Sache sei auf einem andern Wege zu
machen. Meine Herren, nicht anders als mit dem historischen Rückblick des
Herrn Referenten verhält es sich mit den Citaten aus meinem Vortrage
bei Gelegenheit der Uebergabe der Verträge. Die Lage ist meines Erachtens
viel zu ernst als daß es gerechtfertigt wäre, Folgerungen daran zu knüpfen.
Wenn ich wirklich in dem einen oder andern Falle ungeeigneter Auêdrücke,
ungeeigneter Behauptungen mich schuldig gemacht haben würde, auch dann
würden Sie, falls durch ein ablehnendes Votum Unglück über das Vaterland
kommt, sich damit nicht zu rechtfertigen vermögen, daß Sie behaupten: „der
Minister hat bei Vorlage der Verträge sich nicht in den rechten Schranken
gehalten.“ Ich komme da zuerst auf das von verschiedenen Seiten accufirte:
„Sie müssen die Verträge annehmen.“ Meine Herren, ich habe das nicht
gesagt. Ich habe nicht gesagt, daß Sie die Verträge annehmen müssen,
sondern ich habe gesagt, daß Sie meiner Ansicht nach zu der Ueberzeu-
gung kommen werden, daß Sie die Verträge annehmen müssen, und
das darf man auch in einem Parlamente sagen. Wenn mir Jemand gesagt
hätte, daß mein Schluß zu irgend einer Beanstandung führt, dann, meine
Herren, wäre ich wahrhaftig nicht auf den Gedanken gekommen, daß die
Beanstandung von dorther kommt, von woher sie gekommen ist. Wenn man
gesagt hätte, ich hätte so viele Klauseln beigefügt, daß dem Hause dadurch
gewissermaßen der Stempel aufgedrückt worden wäre, als könnte es (Gespro-
chenes nicht richtig verstehen, so wäre mir dies begreiflicher gewesen. Deun
dreimal, in drei Sätzen habe ich erklärt, daß ich der Freiheit des Entschlusses
mit dem gebrauchten Ausdruck nicht zu nahe treten will. Diese Sätze, die
im stenographischen Berichte zu lesen sind, sind nicht etwa Korrekturen, o
nein! das Manuskript, wie es von dem Stenographen ausgegangen ist, steht
zur Verfügung; nicht Ein Wort habe ich daran geändert. Man hat hervor-
gehoben, ich hätte selbst zugestanden, daß wir die Selbstständigkeit des Landes
aufgegeben hätten; man hat auch den Ruf accufirt: „wo ist meine Selbst-
ständigkeit, wo ist die des Ministers des Aeußern, wo die des Kriegs-
ministers?" Nun, meine Herren, ich könnte fast sagen: es ist richtig, die