Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

816 Balern. Kammer der Abgeordneten. 
in Betracht zu ziehen. Belgien, meine Herren, hat eine durch die europäischen 
Mächte gesicherte Eristenz. Seine Neutralität ist durch europäische Verträge 
garantirt, und doch! wie oft schon war Belgien in Gefahr, seiner Selbst- 
ständigkeit und seiner Existenz beranbt zu werden; es ist noch kaum die 
Druckerschwärze von den Zeitungen trocken, die uns von der letzten Gefähr- 
dung Belgiens durch den von uns jetzt bekriegten Feind erzählt haben. Das 
alles, meine Herren, — trotz der europäischen Garantie! Wer wird denn uns 
garantiren? Niemand, meine Herren! Weil Niemand ein Interesse daran 
hat, uns zu garantiren! Auch nicht um der schönen Augen Belgiens willen 
baben die europäischen Mächte seine Selbstständigkeit garantitt sondern um 
des eigenen Interesses willen und ein solches Interesse an der Existenz eines 
selbstständigen Baierns hat Niemand, wenigstens habe ich bis zur Stunde 
Niemand von einem solchen Interesse sprechen hören! Und wenn ich Sie 
an das Jahr 1866 zurückerinnern darf — damals hat man nur das 
Gegentheil von solchen Interessen wahrgenommen. Ich erinnere an die 
Aeußerung, welche der Herr Staatsminister Baron v. d. Pfordten ge- 
macht hat;: „Uns ist es beim Friedensschlusse so übel ergangen, weil sich Nie- 
mand unser angenommen hat.“ (Bravo.) Meine Herren! Unsere Lage 
wäre aber schlechter und weniger sicher, als die Belgiens noch aus einem 
anderen Grund als dem eben genannten. Und wissen Sie, meine Herren, 
warum? Weil Belgien, wenn es für sich allein besteht keine nationale Sünde be- 
geht, — aber wir würden eine begehen! (Brarol) Der Herr Referent 
erkennt selbst das Mißliche der Isolirtheit, in der wir uns befinden würden, 
und verweist uns deshalb auf ein anderweitiges Anlehnen. Wenn ich ihn 
recht verstanden habe, hat er sogar von einer Isolirtheit gegenüber Oesterreich 
gesprochen, auch wenn wir im Deutschen Reiche wären, um unserer langen 
Grenze willen gegen Oesterreich. Nun, mich will bedünken, daß man da 
eigentlich nicht von einer Isolirtheit sprechen könnte, sondern nur davon, daß 
wir zwar mit anderen, aber nicht mit Oesterreich alliirt und verbunden 
seien. Aber wie dem auch sei so kann ich mir nicht denken, wie ein solches 
Anlebnen zum Heil führen sollte. Hat der Herr Referent hier einc groß- 
deutsche Politik im Auge, d. h. die Herstellung eines Deutschlands mit den 
sämmtlichen deutschen Staaten, mit Prcußen und mit Oesterreich, nun so 
habe ich ihm darauf zu erwidern, was andere gewichtige Männer gesagt 
haben: d ie Politik ist faktisch unmöglich geworden. Soll es sich aber um 
ein Anlehnen an Oesterreich ohne Prcußen handeln, ja dann weiß ich nicht, 
ob nicht die Vorwürfe von anderer Seite genau dieselbe Begründung hätten, 
wie die Vorwürfe Derjenigen, die Oesterreich freundlich gesinnt sind! Und 
wenn Sie das Interesse unseres Landes in Betracht ziehen, so weiß ich nicht, 
ob das dann ein Gewinn wäre. Gesetzt, Oesterreich wäre kein sehr mächtiger 
Staat, — dann ist das Anlehnen an ihn auch von wenig Werth; und ist 
Oesterreich ein sehr mächtiger Staat, — dann ist es wohl erlaubt, zu fragen, 
ob wir von dem mächtigen Oesterreich mehr zu erwarten und weniger zu be-
	        
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