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und sagt: Wenn es wahr ist, was ich mir als meine persoͤnliche Meinung
auszusprechen erlaubt habe, daß vor dem Kriege günstigere Bedingungen zu
erlangen gewesen wären, so könnte das auch nur unter der Voraussetzung
der Fall sein, daß Preußen das dort verlangte Maß an Zugeständnissen
als genügend erachtet für die Befriedigung des nationalen Bedürfnisses;
wa##n geht Preußen jetzt weiter? Meine Herren! Ich habe darauf zu er-
widern, daß diese Erwägungen nicht treffen, weil die Sibylle nicht Preußen,
sondern die Geschichte sein wird. Nicht Preußen, sondern die Geschichte wird
uns zwingen. Preußen braucht sich nur zurückzuhalten, und der Zwang wird
ron selber kommen. Aber gesetzt, es wäre auch so, Preußen hätte lediglich
aus eigenem Willen von Schritt zu Schritt weitergehende Forderungen gemacht,
dann, meine Herren, vermag ich wahrhaftig damit keinen Vorwurf zu be-
gründen. Ich sage nicht wie der Herr Abg. Dr. Pfahler: in der Politik
gibt es keine Versöhnung, also keine versöhnlichen Gefühle, sondern nur die
Unterjechung. Nein, meine Herren, so sehe ich die Sache nicht an, aber ich
meine doch, daß es zu viel verlangt ist, wenn man Preußen zumuthet, daß
es das, was es mit großen Opfern, als Frucht angestrengter Thätigkeit, als
Frucht seiner errungenen Siege ervorben hat, was es im Verein mit den
Bundesgenossen mit schwerer Mühe aufgebaut hat, jederzeit bereitwillig auf
den Altar der Freundschaft mit uns niederlegen soll, sobald es uns einmal
gefällt, gemeinschaftliche Sache mit ihm zu machen, um dann von vorne
anzufangen. Ich sage, das ist zuviel verlangt, und dann, meine Herren,
weiß ich auch nicht einmal, ob Preußen, wenn es so handeln wollte, so
bandeln könnte. Sie unterschätzen, wie dies mitunter bei uns geschieht,
meiner Ueberzeugung nach den Reichstag bei Weitem und sprechen gar nicht
von dem Einflusse, den die übrigen deutschen Staaten und die deutschen
Regierungen auf Preußen üben würden. Ich weiß nicht, ob man auf Preußen
nicht den Satz amvenden könnte, wenn es sich darum handelt, das sauer
Errungene auf den Altar der Freundschaft niederzulegen, daß es die Geister,
die es rief, nicht zu bannen vermag. So sehr man die Kraft des Reichstages
unterschätzt, so sehr überschätzt man nach meiner Ueberzeugung die Kraft der
Regierung. Mit dieser Aeußerung werde ich von der mächtigen Stellung
des Leiters der preußischen Politik nicht das Geringste wegnehmen, aber gerade
nach dem, was ich gesehen und gehört habe, bin ich fest überzeugt, daß der
Mann sehr wohl weiß, was für ihn das Volk und der Reichstag bedeutet.
Der Herr Referent gibt übrigens selber zu, daß der Vortritt der deutschen
Staaten für uns eine sehr erhebliche Schwierigkeit ist, aber er sagt: Schwierig-
keiten muß man bestehen, nicht sich selber aufgeben. Nun für's erste ist in
den Bund eintreten noch lange nicht sich selbst aufgeben. Ich glaube im
Gegentheil, das Eintreten in den Bund ist — erinnern Sie sich dessen, was
Herr Dr. Edel über den Zug der Zeit gegen kleine Staaten gesprochen hat —
meines Erachtens das einzige Mittel, um diesem Zug der Zeit wirksam ent-
gegen zu treten und den einzelnen kleineren Staat zu erhalten. Aber abge-
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