Neumayr. 835
sehen davon in Erwägung zog, daß diejenige Macht, welche allein die Frie-
densschlüsse mit ihren Bedingungen, die Allianzen mit ihren Verpflichtungen,
die Staatsverträge mit ihren Folgen in Händen hat, auch über die Herbei-
führung oder Fernehaltung kriegerischer Verwickelungen eigentlich allein ent-
scheidet. Dazu kommen nun noch die außerordentlichen Vorrechte, welche der
Artikel 5 der Bundesverfassung der Präsidialmacht einräumt, in dem dort
statmirten Veto. Gerade in Bezug auf die wichtigsten Attribute der Macht-
stellung: in Bezug auf das Heerwesen und auf die Kriegsmarine, ist der
Stimme Preußens allein ein entscheidendes Gewicht eingeräumt, soferne es
sich um Aufrechthaltung des dermaligen Bestandes handelt, — ein allein ent-
scheidendes Gewicht gegen jede Majorität des Bundesrathes und des Reichs-
tages. Das, meine Hohen Herren, wird genügen, um die Richtigkeit des
vorhin aufgestellten Satzes nachzuweisen, daß die Soureränitäterechte, welche
die einzelnen Staaten abtreten, nicht der Gesammtheit zufallen, sondern zum
größten Theile der Präsidialmacht. Was den zweiten Satz betrifft, daß auch
die Rechte, die die Volksvertretung abtritt, nicht im vollen Maße an die
Volksvertretung des Bundes übergehen, so hat dieser Satz seinen Nachweis
schon gefunden in dem bisher Angeführten. Wo der Präsidialmacht die Be-
fugniß zusteht, gerade in Bezug auf die wichtigste und schwerste Belastung
des Volkes durch ein Veto selbst den einhelligen Beschlüssen der Volkover=
tretung hemmend entgegen zu treten, da kann wohl von einer Vollberechti-
gung der Volksvertretung nicht die Rede sein und es ist fast unnötbig, noch
auf zwei weitere schwerwiegende Umstände hinzuweisen, die für sich allein
schon jenen Satz begründen könnten: daß nämlich der Bundesvertretung ein
verantwortliches Ministerium nicht gegenüber steht, und daß die Wahl zum
Reichstage durch die Diätenlosigkeit desselben einem sehr erheblichen Census
unterstellt ist. Das, meine Hohen Herren, sind die Bedenken, welche Ihr
Ausschuß für überwiegend erachtet hat und nothwendig erachten mußte. Denn
in den hier angeführten Thatsachen erblickt er einerseite eine effektire Min-
derung desjenigen Maßes bürgerlicher Freiheit, welcher dermalen Baiern und
die übrigen füddeutschen Staaten in ihren constitutionellen Verfassungen sich
erfreuen; er erblickt darin andrerseits — und ich glaube, die Richtigkeit dieser
Anschauung wird kein Unbefangener bestreiten können, mag er cinen Partei-
standpunkt haben, welchen er will — er erblickt darin ein das föderatire
Prinzip gefährdendes Uebergewicht der Präsidialmacht und eben deshalb
wenigstens den Keim und die Grundlage, aus deren Entwicklung sich eine
absolutistisch-militärische Hegemonie und schließlich ein absolutistisch-militäri-
scher Einheitsstaat ich will nicht sagen heranbilden muß, — aber unter ge-
gebenen Verhältnissen und fördernden äußeren Umständen heranbilden kann.
Aus diesen Erwägungen, meine Hohen Herren, hat Ihr Ausschuß die
Anschauung gewonnen, daß, wenn die Lage der äußeren Verhält-
nisse eine andere, eine weniger zwingende wäre, dem Beitritte zu den Ver-
trägen trotz der anerkannten Vortheile die Zustimmung so lange zu versagen
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