Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

862 I. Session des deutschen Reichstages. 1871. 
Der Geist, welcher in dem deutschen Volke lebt und seine Bildung und 
Gesittung durchdringt, nicht minder die Verfassung des Reiches und seine 
Heereseinrichtungen bewahren Deutschland in Mitten seiner Erfolge rer jede 
Versuchung zum Mißbrauche seiner durch seine Einigung gewonnenen Kraft. 
Die Achtung, welche Deutschland für seine eigene Selbstständigkeit in Anspruch 
nimmt, zollt es bereitwillig der Unabhängigkeit aller anderen Staaten und 
Völker, der schwachen, wie der starken. Das neue Deutschland, wie cs aus 
der Feuerprobe des gegenwärtigen Krieges hervorgegangen ist, wird ein zu- 
verlässiger Bürge des europäischen Friedens sein, weil es stark und selbstbe- 
wußt genug ist, um sich die Ordnung seiner eigenen Angelegenheiten als 
sein ausschließliches, aber auch ausreichendes und zufriedenstellendes Erbtbeil 
zu bewahren. 
Es hat Mir zur besonderen Geungthunng gereicht, in diesem Geiste des 
Friedeus inmitten des schweren Krieges, den wir führten, die Stimme 
Deutschlands bei den Verhandlungen geltend zu machen, welche auf der 
durch die vermittelnden Bestrebungen Meines auswärtigen Amtes ber- 
beigeführten Konferenz in Londen ihren befriedigenden Abschluß gefanden haben. 
Der ehrenvolle Beruf des ersten deutschen Reichstages wird es zunächtt 
sein, die Wunden nach Möglichkeit zu heilen, welche der Krieg geschlagen 
hat, und den Dank des Vaterlandes denen zu bethätigen, welche den Sieg 
mit ihrem Blut und Leben bezahlt haben; gleichzeitig werden Sie, geebne 
Herren, die Arbciten beginnen, durch welche die Organe des Deutschen Reiches 
zur Erfüllung der Aufgabe zusammenwirken, welche die Verfassung Ibnen 
stellt: „zum Schutze des in Deutschland giltigen Rechtes und zur Pflege der 
Wchlfahrt des deutschen Volkes.“ 
Die Vorarbeiten für die regelmäßige Gesetzgebung haben leider durch 
den Krieg Verzögerungen und Unterbrechungen erlitten; die Vor#agen, 
welche Ihnen zugehen werden, leiten sich daher unmittelbar aus der neuen 
Gestaltung Deutschlands ab. 
Die in den einzelnen Verträgen vom November vorigen Jahres zer- 
streuten Verfassungsbestimmungen sollen in einer neuen Redaktion der Reichs- 
verfassung ihre geordnete Zusammenstellung und ihren gleichmäßigen Ausduck 
finden. Die Betheiligung der einzelnen Bundesstaaten an den laufendm 
Ausgaben des Reiches bedarf der gesetzlichen Regelung. Für die ren der 
königlichen baierischen Hehiermng beabsichtigte Einführung norddeutscher Ge- 
setze in Baiern wird Ihre Mitwirkung in Anspruch genommen werden. Die 
Verfügung über die von Frankreich zu leistende Kriegsentschädigung wird 
nach Maßgabe der Bedürfnisse des Reiches und der berechtigten Ansrrück= 
seiner Mitglieder mit Ihrer Zustimmung getroffen, und die Rechenschaft übe 
die zur Kriegführung verwendeten Mittel Ihnen so schleunig vorgelegt werdem, 
als es die Umstände gestatten. 
Die Lage der für Deutschland rückerworbenen Gebiete wird eine Reihe 
von Maßregeln erheischen; für welche durch die Reichogesetzgebung die Gunt-
	        
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