I. Session des deutschen Reichstages.
Das neue Reich ist dem selbsteigenen Geiste des Volkes entsprungen,
welches, nur zur Abwehr gerüstet, unwandelbar den Werken des
Friedens ergeben ist. In dem Verkehr mit fremden Völkern fordert
Deutschland für seine Bürger nicht mehr, als die Achtung, welche
Recht und Sitte gewährleisten, und gönnt, unbeirrt durch Ab-
neigung oder Zuneigung, jeder Nation die Wege zur Einheit, jedem
Staate die beste Form seiner Gestaltung nach eigener Weise zu
finden. Die Tage der Einmischung in das innere Leben anderer
Völker werden, so hoffen wir, unter keinem Vorwande und in keiner
Form wiederkehren.
Eurer Majestät folgen wir mit freudiger Zustimmung zu den
dringenden Aufgaben, welche der beendete Krieg, und zu den dauern-
den Aufgaben, welche die Verfassung des Reiches uns stellt. Alle
unsere Kräfte werden zuerst dem hohen Berufe gewidmet sein, die
Wunden zu heilen, welche der Krieg geschlagen hat, und die Pflicht
des Vaterlandes zu erfüllen gegen Diejenigen, welche Leben oder Ge-
sundheit für seinen Schutz geopfert haben.
Allen Vorlagen werden wir unsere aufmerksame Mitthätigkeit zu-
wenden. Es überrascht nicht, daß der Krieg die Vorarbeiten der
regelmäßigen Gesetzgebung verzögert hat, und vermindert nicht unsere
Hoffnung, daß die Gesetzgebung des Reiches sich eben so fruchtbar
erweisen wird, wie die Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes. Die
umfangreiche Einführung Norddeutscher Gesetze in den Südstaaten
erhöht unser Vertrauen zu dem harmonischen Zusammenwirken aller
Glieder des Reiches, auch der Organe, welche berufen sind, die ein-
zelnen Staaten zu vertreten.
Mit Genugthuung vernehmen wir, daß aus der Kriegsentschädi-
gung zunächst das Bedürfniß des Reiches, sodann die berechtigten
Ansprüche seiner Mitglieder befriedigt werden sollen.
Für das Wohl der für Deutschland zurückerworbenen Gebiete ist
das Deutsche Volk mit den wärmsten Gefühlen brüderlicher Theil-
nahme erfüllt. Die schönsten Denkmäler deutscher Kultur und
deutschen Volkslebens erinnern an deutsche Vergangenheit in Elsaß
und Lothringen. Lange Entfremdung hat manche Spuren eines
reichen Jahrtausends deutscher Geschichte verwischt, doch unsere
Sprache und Sitte sind der Mehrzahl des Volkes noch unrerloren.
Mäögen Gesetzgebung und Verwaltung zusammenwirken, an diese
Beziehungen überall anzuknüpfen, das Wiedererwachen des deutschen
Geistes zu unterstützen und in der Versöhnung der Gemüther die
Bande zu stärken, welche die herrlichen Provinzen mit dem übrigen
Deutschland wieder vereinigen. In diesem Geiste werden wir uns
den Arbeiten widmen, welche die Grundlagen der neuen Ordnung
schaffen oder vorbereiten sollen.