Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

878 I. Sesston des deutschen Reichstages. 1871. 
Dr. von Zoltowski (Beck-Kosten (Posen)"): Erlauben Sie, meine 
Herren, daß, bevor ich zur Motivirung meines Antrages selbst komme, ich 
ein paar Worte dem Standpnnkte widmen darf, welchen wir, meine politischen 
Freumde und ich, dem gesammten Gesetzentwurfe gegenüber einnehmen. Es 
ist nicht unsere Absicht, meine Herren, an und für sich gegen die demselben 
zu Grunde liegenden Auschauungen und Grundsätze Widerspruch zu erheben: 
im Gegentheil, wir wissen recht wohl — ich und diejenigen Herren, welche 
mit mir die Intceressen der unter preußischer Herrschaft stehenden polnischen 
Landestheile in diesem hohen Haufe zu vertreten haben — wir wissen recht 
wohl das großartige Werk der Vereinigung Deutschlands zu würdigen, welches 
darin seinen praktischen Ausdruck findet. Wir begreifen, wie groß die Frende 
sein muß, welche eines jeden Deutschen Herz erfüllt, bei dem Gedanken an 
die glänzenden GEreignisse des jüngsten Krieges und an die Resultate, welche 
er durch das Zustandekommen der deutschen Einheit mit sich gebracht hat. 
Diese Frende, wir theilen sie sogar mit Ihnen von unserem Standpunkte 
aus. Denn wir finden in dem gedachten Einigungswerke Deutschlands die 
kräftigste Bestätigung eines Princips, für dessen Aufrechthaltung wir von 
jeher stets aufgetreten sind, und aus dem wir unsere unverfährbaren Rechte 
herleiten; ich meine das Nationalitätsprineip. Beinahe 200 Jahre sind 
verflossen, seitdem durch den Ryswicker Traktat das Elsaß an Frankreich ab- 
getreten wurde: Metz hatte schon lange vorher aufgehört deutsche Reichestadt 
zu sein. Es schien, daß niemals diese Länder von Frankreich wieder losge- 
treunt werden sollten, und doch war das Streben des deutschen National- 
gefühls und der deutschen Politik stets darauf gerichtet, die verlorenen Ge- 
biete für Deutschland wieder zu erwerben. Dieses Ziel ist nun in Folge des 
letzten Krieges endlich erreicht: Elsaß und Deutsch-Lothringen werden wieder 
zu deutschen Provinzen, sie werden es selbst gegen den Willen eines 
bedeutenden Theils ihrer Berölkerung, welcher mit Frankreich 
vereinigt zu bleiben wünscht; sie werden es, weil sie von Alters her 
zum deutschen Rciche gehört haben; sie werden es schließlich, weil das historische 
Recht und das Nationalitätoprinzip hier den Sieg über faktisch und rechtlich 
jahrhundertelang bestehende Verhältnisse davon getragen hat. Diesen Sieg 
des Nationalitätsprinzips, meine Herren, ich begrüße ihn freudigst. Durch 
deuselben wird nämlich die Thatsache ausdrücklich bestätigt, daß der durch die 
Vorsehung den Völkern aufgedrückte Stempel der Nationalität ein so unver- 
tilgbares Merkmal ist, daß es weder durch Jahrhunderte fremder 
Herrschaft verjähren noch durch den Willen des einzelnen 
Menschen selbst verleugnet werden kann. Wir werden offenbar die 
Letzten sein, meine Herren, welche einer solchen Auffassung entgegentreten. 
Ist dieselbe aber einmal als richtig anerlannt, so muß man, der Logik der 
Thatsache folgend, auch den Muth haben, die aus derselben sich ergebenden 
*7) St. B. S. 97 l. o.
	        
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