886 I. Session des deutschen Reichetag.
haben, trotz der großen Opfer, die wir fortwährend gern und willig tragen,
unserer Idee treu geblieben sind, daß wir trotz aller menschlichen gegen uns
gerichteten Machinationen durch Gottes Waltung und durch Gottes Fügung
Polen geblieben sind und um keinen Preis der Welt aufhören werden Poelen
zu sein. Also dieses göttliche Recht kann uns Niemand absprechen und wir
haben leider nicht geglaubt, daß uns in dem Augenllick, wo Deutschland mit
Stolz auf das Nationalgefühl sich berufen kann — wir haben aber insbe-
sondere nicht geglaubt, daß in dem Augenblick, wo die ganze Welt, so lange
sie bestehen wird, bewundern wird die Thaten, die Deutschland verübt hat,
— daß in demselben Augenblick einem angenblicklich durch die Theilungs-
mächte geschwächten Volke vron dem Reichskanzler des deutschen Reichs vor-
gehalten werden könnte, daß Polen kein Volk wäre. Ja, Macht baben wir
gegenwärtig nicht, um dieses mit Nachdruck zu dokumentiren; aber nicht in
dem succhès allein liegt das Recht, und es wird die Zeit kommen müssen,
wenn überhaupt Friede und Glück in Europa auftreten soll, daß unser Recht
anerkannt wird werden müssen. Denn auch mit der Zeit wird Europa des
kriegerischen Zustandes müde werden, und so lange dem polnischen Volk das
Recht auf Selbstständigkeit nicht zuerkannt wird, ist auch weder an ein Auf-
hören des kriegerischen Zustandes — noch an die Frciheit zu denken, denn wer
unterdrückt kann nicht frei sein. So oft es sich um unsere Verfolgung hau-
delte, haben die Theilungsmächte selbst bewiesen, daß wir ein Volk und
dazu ein lebenskräftiges Volk sein müssen, denn wozu hätten sie sich
gegenseitig bewacht, daß keine Konzessionen den Polen gemacht werden; und
wenn irgend ein Staat der polnischen Nationalität wohlbegründete Konzes-
sionen gewährte, alsdann fanden sofort Remonstrationen und Interventionen
der anderen Theilungsmächte, insbesondere preußischerscits, statt. Ich crinnere
aus der letzten Zeit blos an die letzte Note, die der österreichische Reichskanzler
Graf Beust vor wenigen Monaten an den Grafen Apponyi, österreichischen
Gesandten in London, geschickt, in welcher Note Graf Beust in edlem Tone
sich darüber beschwerend äußert, daß preußischer= und russischerseits Anstoß
an dem Verfahren Oesterreichs den Polen gegenüber genommen und Verab-
redungen in dieser Beziehung stattgefunden haben sollen, wegegen Graf Beust
remonstrirte. Ich erinnere ferner an die Interventionen und Vorstellungen
die sogar prußischerseits Rußland gegenüber gemacht worden sind, und zwar
immer, so oft Rußland geneigt war den Polen Konzessionen zu machen. Meine
Herren, ich habe geglaubt, daß diese Art uns zu behandeln ietzt in Deutsch-
land auf immer begraben sei. Früher haben wir es am Ende aus vielen
Rücksichten erklärlich finden können. Aber wozu ist denn die Macht7 Wenn
siejauch nicht die Schwachen schützen soll, so ist sie doch nicht etwa dazu da,
um den Schwachen noch abzunehmen den Rest ihrer Rechte! Wir haben
eine andere Behandlung von Deutschland erwartet und glaubten zu unserer
Hoffnung berechtigt zu sein. Seit 1848, wo wir gegen unseren Willen und
trotz unserer Proteste berufen waren, mit Deutschen zusammen in Repräsen-