900 I. Session des dentschen Reichstages.
schließen soll an die alte große Kaiserzeit, an Karl den Großen, an die
Ottone, au Barbarossa und nicht etwa an Franz lI. oder Leopold II. oder
Joseph 1I. und wie diese Zweiten alle heißen sondern an die wahre große
Deutsche Kaiserzeit, über die vor einigen Tagen meiner Meinung nach doch
etwas zu abfällig abgeurtheilt worden ist. Meine Herren, dieser neue
Deutsche Kaiser ist dem neuen Reiche gegenübergetreten mit der laut aus-
gesprochenen Zusage: er wolle allzeit ein Mehrer des Reiches sein, nicht in
Thaten des Krieges und der Eroberung, sondern in den Werken des Friedens
und alles bürgerlichen Gedeibens. Nun, meine Herren, schon diese Be-
zeichuung der Aufgabe des Deutschen Reiches sollte doch, meinc ich, den
ersten Deutschen Reichstag darauf hinführen, daß es nicht gut wäre, sich
mit einer rein formalen Revision zu beschäftigen, da einmal durch die eben
bezeichnete große Thatsache eine Rerision nothwendig geworden ist. Es ist
aber auch nicht wahr, daß es sich hier nur um eine formale Revision handelt.
Es sind verschiedene erhebliche materielle Aenderungen proponirt, und darum
meine ich ist die Veranlassung doxpelt gegeben, auch nach anderen Seiten
hin also erwünschte oder gar für nothwendig zu erachtende Verbesserungen
eintreten zu lassen. Meine Herren, der Standpunkt, den mein Antrag der
jetzigen Verfassung gegenüber einnimmt, ist prinzipiell genan derselbe, den
die Bundesregierungen und das Norddeutsche Parlament seiner Zeit der
Norddeutschen Verfassung gegenüber eingenommen haben. Damals hat man
es nicht für angemessen oder für erwünscht erachtet, Grundrechte in abstrurto
zu machen und aufzunehmen. Man hat aber bei der einzigen Materie,
welche durch die Bundesverfassung der Norddeutschen Gesetzgebung über-
wiesen war, und welche einer grundrechtlichen Beschränkung für die künftige
Gesetzgcbung überhaupt empfänglich ist, in der Wirklichkeit Grundrechte
etablirt. In der alten Nerddeutschen Bundesverfassung hat der Artikel 3
alle erforderlichen Dispositionen zum Schutze gegen etwaige unfreiheitliche
Richtungen dersenigen Gesetzgebung aufgestellt, wobei allein von solchen
Giundrechten die Rede sein kounte, nämlich auf dem Gebiete des Heimats-
rechts und des Indigenats, indem er den Hamptinhalt der künftigen Gesetz-
gebiug über diese Materie durch streng verzeichnete Normen, welche die
Gesetzgebung nicht sollte überschreiten dürfen, firirt. Nun, meine Herren,
ist seittem die neue Thatsache ins Leben getreten, daß zwei andere hoch-
wichtige Gesetzgebungsmaterien in den Bereich des Reiches gezogen worden
sind, welche bisheran immerdar und allzeit, namentlich auch in der großen
Mebrheit der deutschen Staaten, grumdrechtlich regulirt sind: ich meine die
Gesetzgebung über die Presse und das Vereinswesen. Diese Gebiete sind
auch in die Bundesgesetzgebung hereingezogen, und es kann doch nicht be-
stritten werden, daß, wenn diese Gesetzgebungsgebiete dem Reiche überwiesen
bleiben ohne Hinzufügung von Grundrechten, die rechtliche Möglichkeit vor-
liegt, dieser Gesetzgebung einen Charakter, eine Signatur aufzudrücken, die
nicht im Einklange stebt mit denjenigen Grundrechten, welche in den Einzel-