Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Art. 2. Grundrechte. Ketteler. 913 
müssen, die Gerechtigkeit und Freiheit lieben und die aufrichtig darauf ver- 
zichten, durch Staatsgesetze nur ihre Meinungen zur Durchführung zu bringen. 
Wenn ich nicht diese Ueberzeugung hätte, daß es einen solchen Standpunkt 
der Gerechtigkeit giebt, der uns vereinigen kann, würde ich nicht das Wort 
ver Ihnen ergreifen; wenn ich nicht die Ueberzeugung hätte, daß auch die 
Fraktion, der ich angehöre, diesen Standpunkt der höberen Gerechtigkeit gegen 
Ale einnimmt, würde ich nicht zu dieser Fraktion gehören. Ich werde kein 
Wort aussprechen, welches ich nicht grade so in vollem Maße auch für die 
Protestanten und für alle Konfessionen, welche zu Recht bestehen, gelten lasse. 
Ven diesem Standpunkt aus, meine Herren, gehe ich nunmehr zu dem 
Einzelnen über und, wie Sie wahrscheinlich erwarten werden, namentlich 
zu dem Antrage, den Art. 15 der preußischen Verfassung in die Reichsge- 
setgebung aufzunehen. Wir wollen, meine Herren, das Werk vollenden, das 
unsere Kriegöheere auf den Schlachtfeldern begonnen haben. Früher gab es 
auch im Endziel eigentlich in Deutschland keine Parteien, nämlich in dem 
Verlangen nach einer großen nationalen Einheit — nur über die Wege zu 
diesem Ziele gab es verschiedene Parteien. Sie sind alle jetzt verschwunden. 
Wir wollen Alle wetteifern in der Treue gegen unseren Kaiser und uns be- 
mühen, an dem Aufbau eines einigen, großen, mächtigen, herrlichen Deutsch- 
lands mitzuwirken. Das ist auch insbesondere die Aufgabe des Reichstages. 
Wenn aber dieser Aufbau gelingen soll, so muß er vor Allem fortgeführt 
werden in demselben Geiste, in dem ihn unser Kaiser und unser Heer be- 
gonnen haben. Der Kaiser selbst hat bei jeder Gelegenheit Gott die Ehre 
gegeben, und auch noch in den eben verlesenen Worten, mit denen er die 
Adresse des Reichstages entgegen genommen hat, spricht sich so schön wieder 
diese Gesinnung aus. Ebenso war unser ganzes Heer ein von gottes- 
fürchtiger Gesinnung durchdrungenes und erfülltes Heer, gewiß im Gegen- 
satz zu dem französischen Heere. (Vereinzelter Widerspruch.) Ich rede nicht 
von den Einzelnen, über die richte ich nicht; aber der ganze Geist des 
französischen Heeres ist nicht in dem Maße ein Geist der Gottesfurcht und 
der christlichen Gesinnung, wie es im deutschen Heere der Fall ist, welches 
unmittelbar aus dem Volke hervorgegangen ist, während das französische 
Heer ja eigentlich vom Volke fast ganz getrennt ist. Dieser Geist muß nun 
auch in irgend einer Weise, so scheint es mir, einen Ausdruck in unserem 
Verfassungswerke finden. Auch die Verfassung muß der Achtung vor der 
Religion und vor der religiösen Ueberzeugung des deutschen Volkes in irgend 
einer Weise Ausdruck geben. Dazu bietet Ihnen die Annahme unseres An- 
trages eine Gelegenheit. Wenn jener Aufbau gelingen soll, dann müssen 
wir zweitens soviel an uns liegt — und das ist der Gedanke, den auch 
schon der Abgeordnete Reichensperger neulich ausgesprochen hat — die religiösen 
Kämpfe von dem politischen Boden ausschließen und für das öffentliche und 
politische Treiben die religiöse Versshnung anbahnen. (Hörtl hörtI) Ich 
betrachte deshalb auch in dieser Hinsicht unseren Antrag als eine magna 
Raterialien III. 58
	        
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