Art. 2. Giundrechte. Ketteler. 915
im Rahmen der allgemeinen Gesetzgebung, und daß wir nur die Spezial-
gesetzgebung, die vorbeugende Gesetzgebung, die Ausnahmegesetzgebung für
Religion und religiöse Genossenschaften bekämpfen. (Sehr gut! Bravo! von
den Bänken der baierischen Abgeordneten rechts.) Die Einwendungen gegen
unseren Antrag scheinen mir dagegen alle unhaltbar zu sein und das Prinzip
der wahren Selbstständigkeit, der wahren Freiheit, wie es auf allen andern
Gebieten anerkannt wird, zu verletzen. Darauf bitte ich Sie, meine Herren,
bei der Diskussion besonders zu merken. Alles, was man gegen unsere
Forderung sagen kann, widerspricht der wahren Freiheit, der wahren Selbst-
ständigkeit, wie sie auf allen andern Gebieten des Staatslebens anerkannt
wird. Der Abgeordnete Dr. Treitschke hat Ihnen namentlich gesagt, — und
darin bin ich nun absolut der entgegengesetzten Meinung — daß diese Ver-
fassungsbestimmungen der preußischen Verfassung gewissermaßen der Kinder-
zeit des freiheitlichen Lebens angehörten, und daß die Ansicht, zu der er sich
bekennt, ein Fortschritt zu einer richtigeren und besseren Freiheitserkenntniß
sei. Dagegen muß ich mich aber doch im Namen aller der Männer, die im
Jahre 1848 und im Jahre 1850 und später so lange in dem preußischen
Landtage diese Grundsätze als ein überaus werthvolles Gut vertreten haben,
verwahren. Mir scheint das Gegentheil der Fall zu sein, mir scheinen die
Ansichten des Abgeordneten von Treitschke nicht ein Forschritt in der Ent-
wickelung der Freiheit zu sein, sondern geradezu ein Rückschritt zu den alten
Grundsätzen des Staats-Kirchenrechtes, denen wir entgehen müssen, wenn wir
den religiösen Frieden im politischen Leben haben wollen. (Sehr richtig!
Bravo! von den baierischen Abgeordneten rechts.) Um diesen Gegensatz
klar zu machen, meine Herren, erlanbe ich mir auf einen merkwürdigen Vor-
fall hinzudeuten, der in diesen Tagen in Berlin stattgefunden hat, und der
mir eigentlich die Seele jener Richtung zu sein scheint, soweit ich sie richtig
aufzufassen im Stande bin. In einer Versammlung des Protestantenvereins
hat der Abgeordnete Prediger Müller in längerer Ausführung zu rechtfertigen
gesucht die Ablehnung der hessichen Kirchenverfassung und seine Gründe dafür
vorgebracht. Bei dieser Gelegenheit hat er nach dem Bericht der Berliner
Zeitungen unter Anderem gesagt, die Regierung habe die hessische Kirchen-
vorlage gemacht mit absoluter Anerkennung des laudesherrlichen Kirchen-
regiments. Zu einer solchen dürfte man sich jedoch nicht hergeben. Der
Unionsverein müsse nach wie vor die Beseitigung des landesherrlichen Kirchen-
regiments dringend verlangen. Dagegen ist nun der Herr Professor Bluntschli,
der Kollege so viel ich weiß unseres Herrn Abgeordneten Dr. Treitschke,
aufgestanden und die Worte, die er da gesprochen hat, bezeichnen ganz genau
den Gegensatz, welchen wir vor Augen haben müssen, wenn wir die Kontro-
verse, welche uns beschäftigt, recht auf ihre Grundgedanken zurückführen
wollen. Der Professor Bluntschli war nicht der Meinung, er tadelte das
Vorgehen der Gesinnungsgenossen des Abgeordneten Prediger Müller in Ab-
lehnung der hessischen Kirchenverfassung. Welche Gründe hatte er dafür'
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