Art. 2. Grundrechte. Ketteler. 917
eingetreten sind — es sind ja seitdem die religiösen Streitigkeiten in Preußen
fast ganz aus dem politischen Leben verschwunden. Die Kontroversen bleiben
bestehen, meine Herren, sie werden auch in Zukunft bestehen bleiben, sie dürfen
aber nicht in unserem Reichstage vorkommen, sie dürfen nicht in unserem
öffentlichen Leben vorkommen, da müssen wir zusammen arbeiten auf den
Grundlagen derselben Freiheit und derselben Gerechtigkeit. (Zustimmung im
Centrum.) Darum erinnere ich mich noch immer mit Freuden, wie vor
Jahren in einer Debatte ein früherer Jugendbekannter von mir,
Georg von Vincke, als man eine religiöse Kontroverse einmischen wollte, mit
großem Nachdruck dem Grundsatz Ausdruck gab, daß religiöse Debatten nicht
in den Landtag gehörten. Ich glaube nicht, daß der Geist, aus dem diese
Auffassung hervorgegangen ist, der Kinderzeit der Freiheit angehörte, sondern
daß es Weisheitsgrundsätze rechten echten Mannesalters waren, und ich glaube,
daß es sich jetzt darmm handle, ob diese alten, bewährten und darum seit
20 Jahren die religiöse Freiheit garantirenden Grundsätze auch auf Deutsch-
land ausgedehnt werden sollen, oder ob man sogar in Preußen Rückschritte
machen und auf ganz andere Systeme übergehen will, die uns in bodenlose
Zerwürfnisse bringen. (Bravo! rechts und im Centrum.) Ich bitte Sie daher,
meine verehrten Herrn, nehmen Sie unsere Anträge an! Sie werden dadurch,
wie ich glaube, Deutschland ein großes Gut darbringen: den wahren religiösen
Frieden, soweit er in unsern Händen liegt. Ich bitte auch — wenn Sie mir
das noch gestatten wollen — in die Debatte doch nicht allerlei Nebendinge
hineinzuziehen, sondern auf diese Hauptgrundsätze einzugehen. Der Reichstag
hat nicht die Komxetenz, über religisse Anschauungen zu entscheiden. Mag
unser konfessioneller Standpunkt Ihnen unangenehm sein oder nicht, darauf
kommt es ja gar nicht an. Wir wollen zusammenleben in Frieden nach den
Grundsätzen der Gerechtigkeit und wollen dann seder auf seinem Gebiete
kämpfen für das, was wir für wahr annehmen. Wir erheben ja auch nicht
den Anspruch, daß alle Ihre Grundsätze in religiöser Hinsicht uns gefallen
müssen. Das ist ja gerade die Freiheit, daß man auch seinen Gegnern
Freiheit läßt. (Bravol) Wenn Sie, was ich nicht hoffe, in diese Debatte
alle möglichen Dinge hineinziehen würden, worüber es verschiedene Ansichten
giebt, welche von dem Einen so von dem Andern so gedeutet werden, wenn
Sie auf allerlei Gefahren hindenten und durch willkürliche Interpretation
katholischer Prinzipien Schrecken zu verbreiten versuchen sollten, so ziehen Sie
hier in die Debatte Dinge hinein, die nicht vor Ihr Forum gehören. Ich
werde auf keinen, auch nicht auf einen einzigen dogmatischen Angriff
Antwon geben, weil ich hier Niemanden zu einem solchen Angriff für kom-
Fpetent halte. Ich verzichte gänzlich darauf, diesen Weg auch Ihnen gegen-
über einzuschlagen. Ich könnte Ihnen auch, wenn ich mir Mühe gebe, bald
aus diesem bald aus jenem Buche von diesem oder von jenem Verfasser
verletzende Dinge sagen — ich werde mich wohl davor hüten. Mit Jubel
würde von vielen Deutschen ein Beschluß in unserem Sinne aufgenommen